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Einschulungsverfahren, Eingangsdiagnostiken und Bildungsentscheidungen im Kontext des Strukturwandels des Übergangs in die Grundschule

Antragstellerin Professorin Dr. Helga Kelle
Fachliche Zuordnung Bildungssysteme und Bildungsinstitutionen
Förderung Förderung von 2012 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 216441934
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

In dem Projekt wurden die Einschulungsverfahren, die vielfältigen Methoden der Schuleingangsdiagnostik an Grundschulen sowie die Prozessierung von Bildungsentscheidungen vor dem Schuleintritt praxisanalytisch erforscht. Vor dem Hintergrund des Strukturwandels von Elementar- und Primarbereich in allen Bundesländern sowie eines Konsenses über die Notwendigkeit vorschulischer Förderung und der Absenkung von Rückstellungsquoten stellte das Projekt am Beispiel des Landes Hessen die Frage, wie differenzierte Bildungsentscheidungen vor und am Schulbeginn organisational, verfahrensförmig und interaktiv hervorgebracht werden. Ziel des Projekts war es 1. die heterogene Praxis der Einschulungsverfahren und der eingesetzten eingangsdiagnostischen Instrumente auf der Organisations-, Verfahrens- und Instrumentenebene zu explorieren und analytisch zu beschreiben (Fallebene Einzelschulen); 2. die differenzielle Handhabung der Einschulungsverfahren und Eingangsdiagnostiken in je konkreten Einzelfällen zu analysieren (Fallebene Einschulkinder). Das Sample des mit qualitativen Methoden arbeitenden Projekts bestand aus acht Grundschulen und 48 Einschulkindern, die jeweils kontrastiv ausgewählt und während des 15monatigen Einschulungsverfahrens forschend begleitet wurden. Bezogen auf das erste Ziel wurden verschiedene Forschungsbeiträge vorgelegt, in denen die im Sample variierende Organisation von Einschulungsverfahren analysiert wurde, und zwar mit Fokus auf verschiedene Ebenen: der staatlichen und lokalen Regulierung (1.), der diagnostisch-instrumentellen Ausstattung des Verfahrens (2.) und der Interaktionsarrangements bei den diagnostischen Überprüfungen im Rahmen des Verfahrens (3.). Das Thema Einschulung wurde bislang v.a. mit Fokus auf Einschulungsentscheidungen der Eltern auf der Basis psychologischer und soziologischer Werterwartungsmodelle sowie in quantitativer Perspektive hinsichtlich ihrer Verteilung in der Bevölkerung untersucht. Die in diesem Projekt erarbeiteten Beiträge stellen eine notwendige Erweiterung des Standes der Forschung zur Einschulung dar. Sie zeigen beispielhaft auf, in welch hohem Maß die jeweilige organisationale Struktur von Grundschulen, die lokale Regulierungen des Einschulungsverfahrens bedingen, sowie die Interaktionsarrangements und Qualität der Instrumente bei den schuleingangsdiagnostischen Überprüfungen die jeweiligen Bildungsentscheidungen disponieren und relativ kontingent erscheinen lassen. Mit Blick auf das zweite Ziel wird in kontrastierenden ethnographischen Fallnarrationen zu einzelnen Kindern vom Beginn des Einschulungsverfahrens bis zur Einschulung rekonstruiert, wie und mit welchen Instrumenten die Akteure im Zuge des Einschulungsverfahrens differenzielles Wissen über Einschulkinder generieren, Fälle für Förder- und Selektionsentscheidungen konstituieren und Bildungsentscheidungen hervorbringen. Der Gewinn einer Forschungsperspektive, die diese Komplexität zu erfassen sucht, gegenüber bisherigen Forschungen zu Bildungsentscheidungen besteht in der Rekonstruktion der raumzeitlich wie situativ verteilten Praktiken bei der Entscheidungsprozessierung. Die Beiträge in diesem Schwerpunktbereich machen deutlich, dass bereits sehr früh im Prozess eine Typisierung der Kinder entlang der Unterscheidung auffällig – unauffällig vorgenommen wird, die auf die Prozessierung der jeweils im Verfahren zu treffenden individuellen Entscheidungen vorausweist. Das an den einzelnen Terminen des Einschulungsverfahrens generierte Wissen über die Kinder wird von den Akteuren in Form von ‚dokumentarischen Substraten‘ festgehalten, verdichtet und für den weiteren Prozess bereitgestellt. Die erzeugten Substrate dienen der Verkettung des Wissens über die Kinder über die einzelnen Termine des Verfahrens hinweg. Auf diese Weise wird früh eine Fokussierung auf einzelne, ‚problematische‘ Kinder erzeugt und dann im Weiteren kommunikativ validiert. Im Zuge dieser Prozesse werden zukünftige Einschüler bereits (immer früher) als diffus problematisch ‚markiert‘. Darüber hinaus bildete das Thema der Austauschgespräche zwischen elementarpädagogischen Fachkräften und Lehrkräften einen Schwerpunkt der Analyse. In professionstheoretischer Perspektive werden solche Begegnungen der Fachkräfte in der Forschungsliteratur eher als problematisch beschrieben, wodurch die erwünschte Kooperation am Übergang vom Elementar- und Primarbereich als konflikthaft und asymmetrisch erscheint. Allerdings existierten bislang keine Studien, welche Austausch- und Kooperationsgespräche der beiden Professionen auf der Mikroebene konversationsanalytisch untersuchen. Methodologie und Ergebnisse des Projekts erweitern also den bisherigen Stand der Forschung, da anders als bisher üblich nicht die Differenzen zwischen den Berufsgruppen anhand von Interviews, sondern das gemeinsame Handlungsfeld der Austauschgespräche über einzuschulende Kinder fokussiert werden. Für das untersuchte Sample zeigt sich dabei in gemeinsamen Kategorisierungs-, Kontextualisierungs- und Verdichtungspraktiken eine hohe Konsensorientierung der beiden Berufsgruppen in Hinblick auf die Bildungsentscheidungen am Übergang. Insgesamt stellen die in diesem Projekt vorgelegten qualitativen organisations- und verfahrensanalytischen Ergebnisse eine notwendige Erweiterung des Standes der Forschung zur Einschulung dar.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2013): Die interaktive Hervorbringung einer Bildungsentscheidung im Kontext des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule. In: Miethe, I./Ecarius, J./Tervooren, A. (Hrsg.): Bildungsentscheidungen im Lebenslauf. Perspektiven qualitativer Forschung. Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich, S. 85-100
    Schweda, A.
  • (2014): Austauschgespräche über einzuschulende Kinder am Übergang in die Grundschule. In: Urban, M./Schulz, M./Meser, K./Thoms, S. (Hrsg.): Inklusion und Übergang – Perspektiven der Vernetzung von Kita und Grundschule. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 105-119
    Grab, M./Schweda, A.
  • (2014): Differenzdokumentationen und -produktionen am Übergang vom Elementar- zum Primarbereich. In: Tervooren, A./Engel, N./Göhlich, M./Miethe, I./Reh, S. (Hrsg.): Ethnographie und Differenz in pädagogischen Feldern. Internationale Entwicklungen erziehungswissenschaftlicher Forschung. Bielefeld: transcript, S. 367-385
    Kelle, H./Schweda, A.
  • (2014): Interactional complexity and child performative knowledge in language assessments for entry to school. In: Rasmussen, A./Gustafsson, J./Jeffrey, B. (eds.): Performativity in education: An international collection of ethnographic research on learners’ experiences. London: E & E Publishing, S. 213-238
    Kelle, H./Schweda, A.
  • (2015): School entry proceedings as organisational practices. Ethnographic perspectives on the interferences of state and situated regulations. In: Bollig, S. et al. (eds.): MultiPluriTrans. Emerging Fields in Educational Ethnography. Bielefeld: transcript / New York: Columbia University Press, S. 175-193
    Kelle, H.
  • (2015): Sprachstandserhebungen in der medizinischen Schuleingangsuntersuchung und in der Grundschule. Eine analytische Kontrastierung unterschiedlicher professioneller Durchführungslogiken. In: Zeitschrift für Grundschulforschung, Jg. 8, H. 1., S. 122-135
    Schweda, A./Grab, M./Kelle, H.
 
 

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