Detailseite
Projekt Druckansicht

Freundschaft und Gewalt im Jugendalter

Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Förderung Förderung von 2012 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 216610733
 
Erstellungsjahr 2021

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ziel des Forschungsprojekts „Freundschaft und Gewalt im Jugendalter“ war ein tieferes Verständnis der Mechanismen, die zu jugendlichem Gewalthandeln führen. Zum einen sollte auf Basis integrativer Handlungstheorien der Frage nachgegangen werden, durch welche Mechanismen gewalttätiges Handeln zustande kommt. Zum anderen sollte die Bedeutung der Peergruppe für Gewaltdelinquenz untersucht werden. Ein Fokus lag dabei jeweils auf gewaltlegitimierenden Normen, die sich sowohl für Jugendgewalt im Allgemeinen als auch für die Erklärung diesbezüglicher ethnischer Unterschiede als bedeutsam herausgestellt haben. Im Zentrum des Projekts stand die Konzeption und Durchführung einer großen, längsschnittlichen Befragung an Sekundarschulen in fünf benachbarten Städten des Ruhrgebiets: Gelsenkirchen, Gladbeck, Herten, Marl und Recklinghausen. In der ersten Welle im Jahr 2013 nahmen 39 der 45 Haupt-, Real- und Gesamtschulen im Erhebungsgebiet an der Befragung teil und es konnten 2635 Schüler*innen in der siebten Jahrgangsstufe befragt werden. Auch in den jährlichen Folgeerhebungen wurden hohe Ausschöpfungsquoten erreicht (nahezu 90% auf Schulebene und zwischen 79 und 88% auf individueller Ebene). In der dritten und vierten Welle konnten dabei auch Gymnasien mit einbezogen werden. Dies geschah in den drei Städten mit der bis dahin höchsten Ausschöpfungsquote (Gelsenkirchen, Herten und Marl). Durch die Hinzunahme von Gymnasien und die hohen Ausschöpfungsquoten erlauben die Daten in der Gesamtschau nahezu repräsentative Aussagen über einen Schuljahrgang in diesem urbanen Kontext. Die durchgeführten Analysen bestätigen zentrale Hypothesen neuerer integrativer Handlungstheorien und ermöglichen differenziertere Erklärungen von Jugendgewalt und -delinquenz. In Einklang mit der Situational Action Theory von Wikström und dem Modell der Frame-Selektion von Esser und Kroneberg ergaben sich Hinweise darauf, dass es nur unter bestimmten situativen Bedingungen zu einer Abwägung von Anreizen kommt, während ein Großteil insbesondere gesetzeskonformen Handelns unhinterfragt auf Basis verinnerlichter Normen und situativer Hinweisreize erfolgt. Dafür sprechen sowohl Analysen zum Zusammenspiel von Provokationsstärke, persönlicher Akzeptanz von Gewalt und dem Klima in der Schulklasse auf Basis zufällig zugewiesener Szenarien, als auch längsschnittliche Analysen von Schulgewalt und allgemeiner Delinquenzbelastung, die statistisch für zeitkonstante unbeobachtete Heterogenität kontrollieren. Während für die Hypothese einer bedingten Relevanz von Abschreckung bislang nur Tests auf Basis von Querschnittsdaten vorlagen, ermöglicht die Kombination von Paneldesign und hoher Fallzahl hierbei erstmalig belastbare Analysen des Zusammenspiels handlungstheoretischer Determinanten im Zeitverlauf. Netzwerkanalysen zeigen, dass in Schulkontexten, in denen Gewalthandlungen eher mit Beliebtheit einhergeht, Jugendliche, die gewaltlegitimierenden Normen zustimmen, eher in Gewalthandlungen übersetzen – nicht jedoch in Kontexten, in denen kein Statuszugewinn zu erwarten ist. Zudem konnte die Bedeutung der ethnischen Herkunft für physische Gewaltbeziehungen, Freundschaften und Antipathie-Beziehungen im Schuljahrgang herausgearbeitet werden. Netzwerkanalysen zeigen, dass physische Gewalt relativ selten zwischen Schüler*innen unterschiedlicher ethnischer Herkunft auftritt, und zwar gerade in Schulen mit ethnisch stärker getrennten Freundschaftsnetzwerken. Dies ließ sich größtenteils dadurch erklären, dass Schüler*innen, die befreundet sind oder gemeinsame Freunde haben, mehr Freizeit miteinander verbringen. Das Ergebnis der Studie belegt das sog. Integrationsparadox: Ein Mehr an Auseinandersetzungen ist häufig Folge einer voranschreitenden Integration. Schulen, in denen physische Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen unterschiedlicher ethnischer Herkunft besonders selten sind, sind eher durch ethnisch getrennte Freundesgruppen und Antipathie zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft gekennzeichnet. Dieses Ergebnis wurde auch öffentlich wahrgenommen (siehe u.a. "Die Zeit" Nr. 41/2019). Wie bereits diese ausgewählten Ergebnisse zeigen, hat das Projekt „Freundschaft und Gewalt im Jugendalter“ eine einzigartige Datenbasis geschaffen, durch die sich weitere Fragen zu handlungstheoretischen Mechanismen, ethnischen Unterschieden und sozialen Netzwerken beantworten lassen werden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung