Die spätmittelalterliche Bibliothek des Klosters St. Michael zu Lüneburg
Final Report Abstract
Im Rahmen des Projekts wurde die spätmittelalterliche Bibliothek von St. Michael zu Lüneburg im Hinblick auf die Bildungs- und Wissensgeschichte des Klosters untersucht. Durch die Kombination unterschiedlicher Methoden und Ansätze konnte die bislang nur unzureichend aufgearbeitete Bestandsgeschichte der Bibliothek genauer nachgezeichnet und dabei auch gezeigt werden, dass der heute erhaltene Bestand durch erhebliche Verluste gekennzeichnet ist. Die sich aus diesem fragmentarischen Charakter des Bestandes ergebenden methodischen Probleme und insgesamt die Überlieferungslage machten es notwendig, den umfangreichen Archivbestand von St. Michael stärker in die Untersuchung miteinzubeziehen. Die Handschriften und Inkunabeln sowie die Bibliothek insgesamt wurden in ihren funktionalen und sozialen Kontexten verortet, wodurch gezeigt werden konnte, dass die älteren Annahmen zur Kultur-, Bildungs- und Schulgeschichte des Klosters vielfach unzutreffend sind, da ein dafür ganz wesentlicher Faktor bislang weitgehend unbeachtet blieb: Im Umfeld von St. Michael existierte eine größere Gruppe von Weltgeistlichen, die wesentliche Aufgaben in der Liturgie, der Verwaltung des Klosters, der Schule und der Vertretung des Klosters nach außen wahrnehmen. Diese vielfach auch universitär gebildeten Geistlichen, die teilweise zu beachtlichem Wohlstand und Ansehen kamen, waren von zentraler Bedeutung für die Schriftlichkeit zu St. Michael im Allgemeinen und für die Geschichte der Bibliothek im Besonderen. Bei ihnen sind nicht nur zahlreiche Privatbibliotheken nachweisbar, sondern auch ein großer Teil des aus dem Kloster erhaltenen Buchbestandes kann mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Dieser wurde von ihnen geschrieben, geschenkt, testamentarisch vermacht oder verkauft und bisweilen auch ausgeliehen. Teilweise übernahm dieser Pool an gut ausgebildeten Personen im Umfeld des Klosters wohl regelrecht die Rolle des Buchmarktes für St. Michael. Zudem bildeten diese Geistlichen, die insbesondere im Umfeld und Auftrag des Abtes tätig waren und dabei als scolares abbatis eine herausgehobene Position und entsprechende Privilegien genossen, gleichsam einen gelehrten Abtshof. Die Untersuchung leistest damit auch einen Beitrag zur Geschichte geistlicher Hofkultur. Anders als die weltgeistliche Entourage lassen sich die Mönche in den Schriftquellen und speziell auch in den Handschriften des Klosters interessanterweise ungleich weniger verfolgen. Sieht man von den Äbten und Dignitären des Konvents ab, sind nur wenige Konventsmitglieder als Schreiber, Nutzer oder Besitzer von Büchern nachweisbar. Es stellt sich deshalb nachdrücklich die Frage, ob die adligen und materiell gut ausgestatteten Benediktiner von St. Michael Wissen bzw. Bildung und Texte nicht teilweise einfach in Form der genannten Weltgeistlichen zukauften. Herausgearbeitet werden konnte zudem, dass die Benediktiner von St. Michael eine überraschend rege Schulpolitik betrieben, zu der im norddeutschen Raum – wenigstens bislang – wenige Vergleichsbeispiele zu finden sind. Durch die gemeinsame Analyse der Bibliotheks- und Archivbestände konnte ein sehr dichtes und plastisches Bild des Schulwesens und -alltags im Kloster gezeichnet und die vielfältige Rolle der Schulrektoren für das Kloster, seine Text-, Buch- und Bildungsgeschichte genauer konturiert werden.