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"Was ist Wahrheit?" Einstein über Maßstäbe und Uhren in der Relativitätstheorie
Antragsteller
Professor Marco Giovanelli, Ph.D.
Fachliche Zuordnung
Geschichte der Philosophie
Wissenschaftsgeschichte
Wissenschaftsgeschichte
Förderung
Förderung von 2012 bis 2019
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 218862409
Dieses Projekt bietet eine historisch-philosophische Untersuchung von Einsteins schwankender Haltung zur Rolle von Maßstäben und Uhren in der Relativitätstheorie. Es wird vorgeschlagen, dass man dabei vier Phasen herausarbeiten kann: (A) 1905-1916: Einstein benutzte Maßstäbe und Uhren als unstrukturierte Entitäten um Koordinaten in der speziellen Relativitätstheorie mit physikalischer Bedeutung auszustatten. Um dieses wissenschaftstheoretische Modell jedoch in der allgemeinen Relativitätstheorie anzuwenden, waren Einstein und seine Zeitgenossen gezwungen sich von der Last einer Reihe von Vorurteilen in Bezug auf die Rolle von Koordinaten in der Physik zu befreien; besonders von der Idee, dass das Gravitationsfeld ein Feld in einem unabhängig definierten Koordinatensystem ist, wie das elektromagnetische Feld. (B) 1917-1926 Einstein war von mehreren Gesprächspartnern überzeugt worden anzuerkennen, dass sein Operationalismus nicht kompatibel mit dem Projekt einer einheitlichen Feldtheorie war. Einstein begann zu beton, dass in der endgültigen Theorie Maßstäbe und Uhren als Lösung der Feldgleichungen betrachtet werden sollten. (C) 1926-1930 Einstein sah sich veranlasst, die Rolle der Geometrie in der allgemeinen Relativitätstheorie zu überdenken. Wenn Maßstäbe und Uhren, einmal als physikalische Systeme wie jedes andere behandelt würden, würde die Unterscheidung zwischen geometrischen und nicht geometrischen Variablen wegfallen. Die Geometrie würde ihren privilegierten Status in der Theorie des Gesamtfeldes verlieren. Eine solche Theorie könnte dann nicht länger als eine Geometrisierung betrachtet werden, sondern als eine Vereinigung von Gravitationsfeld und elektromagnetischem Feld. (D) In seinen späten Jahren verfestigte Einstein eine epistemologische Zwei-Phasen-Strategie, die unterscheidet zwischen einer provisorischen Haltung gegenüber Maßstäben und Uhren als empirischen Indikatoren des Gravitationsfelds und einer prinzipiellen Haltung, in der sie als Lösungen der Grundgleichungen (Gegenstände bestehend aus bewegten atomistischen Gebilden) erscheinen. Das Projekt möchte zeigen, dass die Rolle von Maßstäben und Uhren in der Relativitätstheorie wesentlich ist, um die Entwicklung von Einsteins Auffassung vom Verhältnis zwischen Theorie und Erfahrung einerseits und zwischen Geometrie und Physik andererseits zu verstehen. Wie es Einstein gegen Ende seines Leben im Scherz ausdrückte: es geht um nichts weniger als "Pilatus' berühmter Frage: 'Was ist Wahrheit?'"
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen