Die Verwaltungsrechtswissenschaft in der frühen Bundesrepublik (1949-1977)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Mit der Gründung der Bundesrepublik begann für die Verwaltungsrechtswissenschaft eine neue Phase. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Überwindung der NS-Diktatur knüpften die Vertreter des Fachs zwar überwiegend an die verwaltungsrechtswissenschaftlichen Konzepte an, die schon in der Weimarer Republik und der konstitutionellen Monarchie entwickelt worden waren. Zugleich stellte sich für sie aber die Frage, inwieweit das neue Grundgesetz und das Bonner Modell der parlamentarischen Demokratie Veränderungen in der Dogmatik erforderlich machten. Auch die Rechtsprechung des neu geschaffenen Bundesverfassungsgerichts und des 1953 errichteten Bundesverwaltungsgerichts musste wissenschaftlich verarbeitet werden. Das Netzwerk hat analysiert, wie diese neuen Rahmenbedingungen von der Verwaltungsrechtswissenschaft in der frühen Bundesrepublik verarbeitet wurden. In zeitlicher Hinsicht haben wir die Verwaltungsrechtswissenschaft der frühen Bundesrepublik von ihren Anfängen bis Mitte der 1970er Jahre untersucht, als es in Folge der Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts durch die Verwaltungsverfahrensgesetze (1976/77) zu einer Konsolidierung gekommen ist. In der ersten Projektphase haben wir einen personenbezogenen Ansatz gewählt und die Konzepte von 17 Wissenschaftlern analysiert. Wir haben insbesondere danach gefragt, in welchem Umfang man auf die Systembildung sowie auf Institute, Begriffe und Prinzipien des Verwaltungsrechts der konstitutionellen Monarchie und der Weimarer Republik zurückgriff. Dabei haben wir festgestellt, dass Verwaltungsrechtler gerade in den ersten Jahren seit Gründung der Bundesrepublik in großem Umfang an frühere Konzepte angeknüpft haben, vereinzelt wurden Kontinuitäten zur NS-Zeit beobachtet. Andererseits konnten wir beobachten, dass es zu Änderungen und Anpassungen im Vergleich zur traditionellen Verwaltungsrechtslehre gekommen ist. Unser Interesse galt insbesondere der verwaltungsrechtswissenschaftlichen Verarbeitung des Prozesses der Anpassung des einfachen Rechts an die neue Verfassung, der Prägung und Konkretisierung des einfachen Rechts durch Verfassungsrecht. Zur Beschreibung dieses Prozesses wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur der Begriff der „Konstitutionalisierung“ verwendet. Gerade Verwaltungsrechtswissenschaftler plädierten nach 1949 unter Rückgriff auf das Grundgesetz für Änderungen der tradierten Konzepte. Letzteres konnten wir beispielsweise anhand des gewandelten Verständnisses vom Gesetzesvorbehalt, der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht oder der Diskussion über Umfang und Intensität der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle aufzeigen. Deutlich wurde auch, dass in der frühen Bundesrepublik darüber nachgedacht wurde, ob und inwieweit das Demokratieprinzip verwaltungsrechtswissenschaftlich zu verarbeiten sei. Gleichwohl gab es ebenfalls Autoren, die gegenüber dem Grundgesetz und einer Neuausrichtung der Verwaltungsrechtsdogmatik im Hinblick auf das Verfassungsrecht reserviert blieben. Dass die Europäisierung des deutschen Verwaltungsrechts bereits in den 1960er Jahren die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft beschäftigt hat, konnten wir anhand der von uns betrachteten Quellen bislang nicht näher feststellen, könnte aber noch weiter untersucht werden. Diskutiert haben wir allerdings über die rechtliche Erfassung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) durch Vertreter des Öffentlichen Rechts. Näher betrachtet haben wir auch die methodischen Vorstellungen der Verwaltungsrechtler, die oftmals die tradierte juristische Methode kritisierten und (mit unterschiedlichen Akzenten) Veränderungen forderten. In der Methodendiskussion spielte insbesondere die Regensburger Staatsrechtslehrertagung im Jahr 1971 eine bedeutende Rolle. Die Ergebnisse dieser ersten Phase unseres Projekts werden in einem Band veröffentlicht, der in Kürze erscheint. In der zweiten Phase des Projekts haben wir den Fokus auf systematische Aspekte gerichtet. Wir haben Themen herausgearbeitet, die uns für einen systematischen Zugriff auf die Darstellung der Geschichte der Verwaltungsrechtswissenschaft der frühen Bundesrepublik maßgeblich erscheinen. Daran werden künftige Untersuchungen der Netzwerkmitglieder anknüpfen. Geplant ist ein zweiter Sammelband, in dem diese Themen bearbeitet werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Die Verwaltungsrechtswissenschaft in der frühen Bundesrepublik (1949– 1977), Tübingen: Mohr Siebeck 2017. ISBN: 978-3-16-155530-5. 430 Seiten
Carsten Kremer (Hrsg.)