Mythophile und mythoklastische Moderne. Konstellationen literarischer Mythos-Rezeption 1900-1950.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Gegenstand der Untersuchung ist die Semantik von Mythos und Monotheismus und deren Gestaltung im Roman, Drama und Opernlibretto zwischen 1900 und 1950. Dem Projekt liegt die These zugrunde, dass die religionsgeschichtlichen Deutungssysteme Mythos und Monotheismus im frühen 20. Jahrhunderts oft als Projektionsfläche für konkurrierende Antworten auf Modernisierungserfahrungen fungieren: Während man etwa im Namen des Mythos eine Anthropologie der Subjektnegation propagiert, werden unter Bezug auf den Monotheismus idealistische Subjektvorstellungen entworfen. Das Anliegen des Projekts, so wie es im Antrag formuliert wurde, besteht darin, zwei bislang voneinander separierte Forschungsdiskurse zusammenzuführen, nämlich die Forschung zur Antike-Rezeption um und nach 1900 (antiklassizistisches Antikenbild, Renaissance des Antikendramas, Mythos-Rezeption als Medium einer ästhetischen Gegenmoderne) und die Forschung zur modernen Ästhetisierung alttestamentarischer Geschichten (v.a. die literarische Transformation der biblischen Josefs- und Mose-Erzählungen). Dies hat sich als zielführend erwiesen. Die Ausgangsüberlegungen haben im Laufe der Projektarbeit durch terminologische und konzeptionelle Präzisierungen sogar deutlich an Schärfe gewonnen. Während ursprünglich nach dem Verhältnis von Mythos-Begeisterung und Mythos-Kritik gefragt wurde, hat sich gezeigt, dass präzisere Analyseergebnisse zu erzielen sind, wenn man primär die semantische Opposition von Mythos und Monotheismus in den Blick nimmt. Seit dem späten 18. Jahrhundert, beginnend bei Schiller und dem deutschen Idealismus, konstruieren Intellektuelle nämlich einen fundamentalen Konflikt zwischen diesen Deutungssystemen und zwar nicht aus religionsgeschichtlichem Interesse, sondern um sich im Namen von Mythos und Monotheismus über Modernisierungserfahrungen zu verständigen. Charakteristisch für die Phase im frühen 20. Jahrhundert ist dabei eine auffällige Zuspitzung dieses Konflikts. Gerade durch den Einbezug des Monotheismus-Begriffs in die zugrundeliegende Analysefrage konnte gezeigt werden, inwiefern die literarische Antike- und Bibel-Rezeption in dieser Phase als Teil eines größeren Epochen- und Diskurszusammenhangs zu verstehen ist, nämlich als Teil von ästhetischer Moderne im Sinne einer ›Makroepoche‹, die um 1800 beginnt und im Grunde weiterhin andauert. Die modernegeschichtliche Präzisierung der Ausgangsthese im Laufe der Projektarbeit hat auch zu einer Eingrenzung des Textkorpus geführt, um die Kohäsion der Ergebnisse nicht zu gefährden und um die zugrundeliegende These besonders scharf herausarbeiten zu können. Neben allgemeinen Überblickskapiteln zur Mythos- und Monotheismus-Semantik im frühen 20. Jahrhundert sowie zur literarischen Antike- und Bibelrezeption gliedert sich die Arbeit nunmehr in zwei Hauptteile: Der erste Hauptteil analysiert monotheismuskritische Mythos-Konzepte im deutschsprachigen Antikendrama des frühen 20. Jahrhundert, mit einem Akzent auf der Antike- und Mythos-Rezeption bei Hugo von Hofmannsthal und Gerhart Hauptmann. Der zweite Hauptteil ist der ästhetischen Rezeption des alttestamentarischen Monotheismus in den 1930er und 1940er Jahren gewidmet: Hier liegt der Analysefokus auf der literarischen Darstellung von Kämpfen zwischen Mythos und Monotheismus, nämlich bei Arnold Schönberg und Thomas Mann. Die Arbeit an diesen Hauptteilen wurde noch nicht endgültig abgeschlossen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
-
Art. ›Romantik‹. In: Thomas Mann-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Hg. von Andreas Blödorn und Friedhelm Marx. Metzler: Stuttgart 2015, S. 271-273
Matthias Löwe
-
Hobbyforscher, Märchenonkel, Brunnentaucher. Der unzuverlässige Erzähler in Thomas Manns Josephsromanen und seine ästhetische Funktion. In: Thomas Mann-Jahrbuch 28 (2015), S. 75-96
Matthias Löwe