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Sozialfürsorge und Gesundheit in Ost- und Südosteuropa im langen 20. Jahrhundert

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2012 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 222348724
 
Erstellungsjahr 2016

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Im Rahmen des wissenschaftlichen DFG-Netzwerkes “Sozialfürsorge und Gesundheit in Ost- und Südosteuropa im langen 20. Jahrhundert” haben 15 NachwuchswissenschaftlerInnen aus Deutschland und dem europäischen Ausland Praktiken und Diskurse zu Gesundheit und Fürsorge in SOE vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die neueste Zeit vergleichend untersucht. Das Format des Netzwerkes hat es uns ermöglicht, WissenschaftlerInnen, die im Rahmen von Qualifizierungsarbeiten zu Themen der Sozialfürsorge und Gesundheit in SOE arbeiten, in eine gemeinsame wissenschaftliche Debatte einzubinden. Im Rahmen des Netzwerkes ist es uns gelungen, aus den jeweiligen nationalen und auf einzelne Staaten beschränkten Fallstudien übergeordnete Fragen zur historischen Rolle und Bedingtheit von Sozialfürsorge und Gesundheit zu formulieren und kritisch zu diskutieren. Der transnationale Vergleich hat die Möglichkeit eröffnet, lokale Diskurse und Entwicklungen in den Gesundheitssystemen SOE in ihren gesamteuropäischen und transatlantischen Bezügen zu verstehen. Grundsätzlich hat sich gezeigt, dass die Geschichte von Gesundheitsversorgung und Fürsorge seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eng an Staats- und Nationsbildungsprozessen gekoppelt war. Gesundheitsvorsorge und Fürsorge spiegelten hier einerseits Prozesse der Modernisierung, Professionalisierung und Institutionalisierung, wurde aber gleichzeitig auch zu Objekten und Instrumentarien staatlicher Biopolitik. Im Verlauf von Diskussionen entwickelte sich die These, dass die Verflechtung vielfältiger Bevölkerungsgruppen und Lebensrealitäten in SOE, die sich durch die lange Einbettung dieser Region in multiethnische Imperien etabliert hatte, lokale Diskurse und Praktiken von Gesundheit und Biopolitik tiefgreifend geprägt hat. Dabei war die Herausbildung moderner Gesundheitsund Fürsorgesysteme eng an Inklusions- und Exklusionsprozesse gekoppelt, deren Sichtbarmachung zentrales Anliegen unseres Netzwerkes und der daraus hervorgehenden gemeinsamen Publikation war. Darüber hinaus hat sich das Netzwerk im Laufe der drei Jahre intensiv mit den sozialen, kulturellen bzw. politischen Implikationen von Kriegs-und Nachkriegszeiten für den Zusammenhang von Gesundheit und Fürsorge befasst. Die vergleichende Untersuchung verschiedener Kriegsschauplätze in SOE lässt den Schluss zu, dass viele Gebiete Ost- und Südosteuropas proportional stärker von den Weltkriegen betroffen waren als ihre westeuropäischen Nachbarn, weswegen die Nachfolgegesellschaften ungleich höhere soziopolitische Folgen (z.B. in Form von Verwundeten, Verwaisten und Traumatisierten) zu bewältigen hatten. Auch hinterließ der Kalte Krieg nachhaltige Spuren in den lokalen Gesundheitssystemen SOE, insofern sozialistische Staaten ihr Verständnis von ‘Moderne’ auch im Bereich von Gesundheit und Fürsorge umsetzten. Dies manifestierte sich nicht nur im Angebot flächendeckender Gesundheitsversorgung und Fürsorge sondern auch durch ein neues Maß an sozialer Kontrolle. Hier hat sich jedoch gezeigt, dass die sozialistischen Gesundheits- und Fürsorgesysteme nicht allein auf ihre repressiven Maßnahmen reduziert werden dürfen, sondern insbesondere auch der ‘eigensinnige’ Widerstand individueller Akteure gegen die staatliche Instrumentalisierung von Gesundheit und Fürsorge berücksichtigt werden muss. Ein weiteres Anliegen des Netzwerkes war es, die Kontaktstellen und gemeinsamen Kommunikationsräume zwischen Ost und West zu identifizieren, welche die ideologische Spaltung Europas in Ost und West zu verhindern schien. So zielten einige Projekte unseres Netzwerk darauf ab, den Transfer von Wissen und Praktiken über den Eisernen Vorhang hinweg sichtbar zu machen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • "Minimale Kosten, absolut kein Blut!": Österreich-Ungarns Präsenz im Sandžak von Novipazar (1879-1908). Frankfurt et al. 2013
    Tamara Scheer
  • Serbien und das Modernisierungsproblem. Die Entwicklung der Gesundheitspolitik und sozialen Kontrolle bis zum Ersten Weltkrieg. Peter Lang Verlag. Frankfurt am Main u.a. 2014
    Indira Durakovic
  • "Aus den Ruinen der alten erschaffen wir die neue Welt." Herrschaftspraxis und Loyalitäten in Kosovo, 1944-1974. Oldenbourg Verlag: München (Südosteuropäische Arbeiten, Bd. 155) 2015
    Isabel Ströhle
  • Kriegsbeziehungen. Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen 1939 bis 1945. Frankfurt am Main: S. Fischer 2015
    Maren Röger
  • From the Midwife’s Bag to the Patient’s File: Public Health in Eastern Europe. Budapest, New York, Central European University Press 2018. X, 348 S. (Studies in the history of medicine, 9) 9789633862094
    Sara Bernasconi, Heike Karge, and Friederike Kind-Kovács (eds.)
 
 

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