Objektive Erfassung von Sehfunktionen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Eine objektive Beurteilung der Sehschärfe ist klinisch und gutachterlich sehr wichtig. Ein geeignetes Verfahren ist die Analyse visueller Reizantworten im EEG. Für Sehstörungen, die sehr bewusstseinsnahe sind, ist ein spezifisches EEG-Signal („P300”) geeignet. Im aktuellen Projekt fanden wir, dass Gesichter als Sehreize sehr aufmerksamkeitsattraktiv und geeignet sind zur Sehschärfeschätzung bei Störungen zentral des primären visuellen Cortex. Dazu werden die Gesichter in verschiedenen Ortsfrequenzbereichen gefiltert und als seltene Reize angeboten, was eine P300 auslöst, wenn die Sehschärfe zur Auflösung der Konturen ausreicht. Für Sehstörungen der Sehbahn existiert ein Verfahren, bei dem Muster (Schachbretter) verschiedener Karogröße angeboten werden. Hier waren zwei Probleme zu lösen. (1) Die “tuning-Kurve” (VEP-Amplitude versus Karogröße) wird bei fast 50% der Untersuchten gestört durch die sog. “Notch”, eine starke Amplitudenminderung im Ortsfrequenz-Bereich optimaler Kontrastempfindlichkeit. Wir prüften zwei Hypothesen, die die Notch erklären können. (1a) Destruktive Überlagerung lokaler Dipole unterschiedlicher kortikaler Quellen. Dies prüften wir mit 32-kanaligem EEG, in der Annahme, dass es Elektrodenpaare gibt, die die die Dipolprojektionen nicht-destruktiv erreichen. Das war, überraschend, nicht der Fall: Wenn eine Notch auftritt, dann bei allen Elektrodenpaaren mit signifikanter Antwort, und etwa bei derselben Ortsfrequenz. Damit ist diese Hypothese nicht völlig falsifiziert, doch lässt sie sich nur noch unter der Zusatzannahme halten, dass die destruktiv überlagernden Dipole räumlich sehr eng benachbart sind. (1b) Alternativhypothese: destruktive zeitliche Überlagerung unterschiedlich gepolter Komponenten. Dies prüften wir mit einem Ansatz, der Antworten auf eine m-Sequenz-modulierte Reizkette mit gleichmäßiger Steady-state-Antwort vergleicht. Ergebnis: destruktive Zeitüberlagerung verursacht nicht primär die Notch. Die Ursache für die Notch bleibt damit noch ungelöst. Eine Aufklärung erhoffen wir uns jetzt durch die Analyse fein-lokalisierter cortikaler Aktivierung, die z.B. durch multifokale Stimulation erzielt werden kann. (2) Die praktisch vollständige Ablösung bisheriger CRT-Bildschirme durch LCDs führt durchweg zu Fehlauswertungen, weil alle CRTs Leuchtdichteartefakte wg. Nichtlinearitäten beim Umschalten aufweisen. Ein Spezialmonitor (VPixx), der keine Artefakte erzeugen sollte, erwies als ungeeeignet. Die Entwicklung einer neuen Reizsequenz, die im Fourierraum die Helligkeitsartefakte von den physiologischen Antworten trennt, konnte dieses Problem jedoch praktisch vollständig lösen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2014) Faces are more attractive than motion – Evidence from two simultaneous oddball paradigms. Doc Ophthalmol 128(3):201–209
Marhöfer DJ, Bach M, Heinrich SP
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s10633-014-9434-1) - (2014) Objektivierung von Sehfunktionen. 45. Versorgungsmedizinische Fortbildungstagung, Bad Neuenahr
Bach M
- 2014. Assessing restored visual abilities – From visual appearance to visual perception. CVS Symposium “Restoring Vision”, Rochester, NY
Bach M
- (2015) Objective measurement of visual resolution using the P300 to self-facial images. Doc Ophthalmol 131(2):137– 148
Marhöfer DJ, Bach M, Heinrich SP
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s10633-015-9502-1) - (2015) Relating the steady-state visual evoked potential to single-stimulus responses derived from m-sequence stimulation. Doc Ophthalmol 131:13–24
Heinrich SP, Groten M, Bach M
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s10633-015-9492-z) - (2015) Spatial-frequency tuning of the steady-state pattern-onset visual evoked potential: The topography of the ‘‘notch’’ Perception 44S1:332
Heinrich SP, Herold L, Marhöfer D, Bach M
- (2015-06-25) The topography of spatial-frequency tuning of the steady-state pattern-onset VEP. ISCEV Symposium, Ljubljana
Heinrich SP, Herold L, Marhöfer D, Bach M
- (20151) Wenn das VEP unter der Cortexfaltung leidet – Signalauslöschung. Symposium “Psychophysics meets structure”, DOG-Jahrestagung
Bach M