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Geschichte der mecklenburgischen Regionalsprache nach dem Zweiten Weltkrieg. Varietätenkontakt zwischen Alteingesessenen und immigrierten Vertriebenen

Fachliche Zuordnung Einzelsprachwissenschaften, Historische Linguistik
Förderung Förderung von 2012 bis 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 224625029
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Der besonders rasche Abbau regionaler Sprachformen in Norddeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wird in der Germanistik meist mit der massiven Zuwanderung von Flüchtlingen und Vertriebenen in Verbindung gebracht, die gerade im Norden der späteren BRD und DDR die höchsten Anteile an der Bevölkerung ausmachten. Die breit angelegten empirischen Erhebungen meines Forschungsprojekts in Mecklenburg lassen aber erkennen, dass sich die Zuwanderer vielfach in bemerkenswerter Weise an ihr neues Sprachumfeld angepasst haben und Angehörige von Vertriebenenfamilien heute oftmals ‚mecklenburgischer‘ sprechen als alteingesessene MecklenburgerInnen. Datenbasis der Untersuchung ist ein umfangreiches Korpus dialektaler und regiolektaler Sprachaufnahmen von Alteingesessenen und Vertriebenen der Vorkriegsgeneration sowie von ihren nach 1950 geborenen Nachkommen. An ausgewählten sprachlichen Merkmalen der lexikalischen, der morphosyntaktischen und der phonetischen Ebene werden die kontaktlinguistischen Prozesse beobachtet, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg zwischen dem mecklenburgischen Niederdeutsch, dem mecklenburgischen Regiolekt, den Herkunftsvarietäten der Vertriebenen und dem überregionalen oralen Standard vollzogen. Die quantitative Variationsanalyse ermöglicht eine exakte Vermessung der Konvergenzprozesse im Varietätenkontakt, die dem strukturellen Varietätenwandel zugrunde liegt. Die Variablenanalysen zeigen, dass der Sprachstrukturwandel in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zum Teil gegenläufigen Entwicklungstendenzen bzw. unterschiedlichen Anpassungsdynamiken folgt. Die alteingesessenen MecklenburgerInnen nähern ihren dialektalen und regiolektalen Sprachgebrauch in der Generationsfolge dem überregionalen Standard an. Elemente der Herkunftsvarietäten der Vertriebenen werden von den Alteingesessenen nicht übernommen. Die Angehörigen der Vertriebenenfamilien orientieren sich sprachlich dagegen an den älteren Alteingesessenen. Sie haben nicht nur häufig deren mecklenburgisches Niederdeutsch erworben, sondern sprechen vielfach auch ein ‚archaischeres‘ Niederdeutsch als die gleichalten Alteingesessenen. In ihrem regiolektalen Sprachgebrauch zeigt sich in der Generationsfolge entsprechend eine zunehmende Adaption von standarddivergenten Merkmalen des mecklenburgischen Regiolekts, die sie damit zum Teil stärker bewahren als die gleichalten Alteingesessenen. Merkmale der Herkunftsvarietäten werden hingegen schon aus dem Sprachgebrauch der ersten Nachkommengeneration der Vertriebenenfamilien radikal getilgt. Der erste Band meiner umfassenden Geschichte der mecklenburgischen Regionalsprache seit dem zweiten Weltkrieg steht unmittelbar vor der Veröffentlichung. Während dieser erste Band vorrangig den Strukturwandel in den regionalen Kontaktvarietäten rekonstruiert, wird der geplante zweite Band der mecklenburgischen Sprachgeschichte die soziolinguistischen und perzeptionslinguistischen Kontexte dieses Sprachwandels nachzeichnen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • 2013. „Führte die Immigration der Heimatvertriebenen nach 1945 zu Dialektverlust und Nivellierung regionalsprachlicher Differenzen? Beobachtungen aus einer Untersuchungsregion in Mecklenburg.“ In: Niederdeutsches Jahrbuch 136 (2013): 97–116
    Klaas-Hinrich Ehlers
  • 2015. „Vertriebenen-Linguistik. Geschichte und Profil der germanistischen Forschung zu den sprachlichen Folgen der Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg.“ In: Hassler, Gerda (Hrsg.): Metasprachliche Reflexion und Diskontinuität. Wendepunkte – Krisenzeiten – Umbrüche. Münster: 208–221
    Klaas-Hinrich Ehlers
  • 2016. „’Uns‘re Leut’ – Akkulturation und Abgrenzung einer karpatendeutschen Vertriebenengruppe in Mecklenburg.“ In: Zückert, Martin / Schvarc, Michal / Meier, Jörg (Hrsg.): Migration – Zentrum und Peripherie – kulturelle Vielfalt. Neue Zugänge zur Geschichte der Deutschen in der Slowakei. Leipzig: 161– 197. (= Digi-Ost 2016)
    Klaas-Hinrich Ehlers
  • 2017. „Meiden, meigen, meien – ‚mähen‘. Zur Hiattilgung im mecklenburgischen Niederdeutsch.“ In: Arendt, Birte / Bieberstedt, Andreas / Ehlers, Klaas-Hinrich (Hrsg.): Niederdeutsch und regionale Umgangssprache in Mecklenburg- Vorpommern. Strukturelle, soziolinguistische und didaktische Perspektiven. Frankfurt a. M. usw.: 99–121. (= Regionalsprache und regionale Kultur 1)
    Klaas-Hinrich Ehlers
  • 2017. „Von der Sprachbiografie zur Sprachgebrauchsgeschichte: Die Rekonstruktion des Varietätengebrauchs auf den Rostocker Werften.“ In: Jürgens, Carolin / Schröder, Ingrid (Hrsg.): Sprachliche Variation in autobiographischen Interviews. Theoretische und methodische Zugänge. Frankfurt a. M. usw.: 143– 165. (= Sprache in der Gesellschaft 35)
    Klaas-Hinrich Ehlers
  • Geschichte der mecklenburgischen Regionalsprache seit dem Zweiten Weltkrieg. Varietätenkontakt zwischen Alteingesessenen und immigrierten Vertriebenen. Teil 1: Sprachsystemgeschichte. Frankfurt a. M. usw.: Peter Lang, 2018. S. 26-40
    Klaas-Hinrich Ehlers
 
 

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