Von medizinischer Entwicklungshilfe zu Global Health Deutsche Ansätze internationaler Gesundheitsarbeit, 1950-2010
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Gesundheit gehört zu den zentralen Bereichen internationaler Zusammenarbeit, in die sich nach 1945 auch Akteure aus beiden deutschen Staaten einbrachten. Ausgehend von beruflichen Vorerfahrungen in Not- und Entwicklungshilfe sowie eigenen früheren Arbeiten zur Internationalen Gesundheit, Kolonial- und Missionsmedizin und medizinischen Entwicklung Ostafrikas wurde in diesem zweijährigen Projekt anhand vorhandener Forschungsliteratur, publizierter und archivalischer Dokumente ebenso wie von Zeitzeugenbefragungen die deutsche Beteiligung an der Gesundheitsversorgung in „Entwicklungsländern“ untersucht. Gegenüber gängigen Darstellungen konnte aufgewiesen werden, dass im Westen die Anfänge keineswegs in der institutionellen Etablierung bundesdeutscher Entwicklungshilfe zwischen 1956 und 1961 lagen, sondern in der Fortsetzung von Missionsmedizin der Zwischenkriegszeit, in außereuropäischen Anstellungsverhältnissen deutscher Ärzte angesichts bescheidener beruflicher Chancen in Deutschland und in der deutschen Mitfinanzierung multilateraler Zusammenarbeit durch Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Vereinte Nationen (UN). Erst um 1960 kam es im kirchlichen wie staatlichen Bereich zu konzeptionellen Neuorientierungen, die bei den neuen kirchlichen Hilfswerken in ersten integrierten Programmen statt bloßer Krankenhausarbeit und beim Staat in Public Health, z.B. durch Schenkung entsprechender Hygiene-Institute, und Ausbildung führte. Für die DDR waren die gesundheitsbezogenen Kontakte zu sozialistischen Bruderstaaten wie China und den dekolonisierten „jungen Nationen“ in Asien und Afrika nicht zuletzt eine außenpolitische Möglichkeit, die durch die westdeutsche Hallstein-Doktrin verstärkte eigene Isolierung zu durchbrechen. Mangels Freiräumen bisheriger oder neuer zivilgesellschaftlicher Akteure fanden Kooperation und Hilfe fast ausschließlich über das Außenministerium und das von der Nationalen Front gegründete Solidaritätskomitee statt. Gewisse Alleinstellungsmerkmale der DDR-Hilfe waren zentral organisierte Krankenhausbehandlung ausländischer Patienten in der DDR sowie Ausstellungen des Dresdener Hygiene-Museums in Übersee. Beide deutsche Staaten wurden durch die Kriege in Korea, Kongo und Vietnam zu humanitärer Hilfe durch medizinische Teams geführt, deren Erfahrungen auch die weitere „Entwicklungshilfe“ bzw. „Solidaritätsarbeit“ maßgeblich beeinflussten. Ähnlich waren sich beide deutsche Staaten – bei allen devisen- und wirtschaftskraftbedingten Unterschieden im Umfang – in der Ausbildung ausländischer Studierender in Deutschland, Entsendung von Personal v.a. für Forschung, Aus- und Weiterbildung sowie Lieferung deutscher Arzneimittel und Medizinprodukte, wobei die DDR ein deutliches kommerzielles Interesse zeigte. Auf die große Wende internationaler Gesundheitspolitik 1978, die Erklärung der WHO und UNICEFs von Alma-Ata zu Primary Health Care (PHC), reagierten beide Staaten wiederum unterschiedlich: Die DDR sah sie als Bestätigung sozialistischer Ansätze, änderte aber praktisch nichts in diese Richtung; in der Bundesrepublik wurde PHC überwiegend begeistert aufgenommen und den Partnern als Bedingung für weitere Hilfe auferlegt, in der Zustimmung zu den Strukturanpassungsprogrammen nach 1980 aber entscheidend geschwächt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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“The global health concept of the German government: strengths, weaknesses, and opportunities”, in: Global Health Action (2014) February 13;7:23445
Bozorgmehr K, Bruchhausen W, Hein W, Knipper M, Korte R, Tinnemann P, Razum O
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“Medical Aid, Repression and International Relations. The East German Hospital at Metema”, in: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences (2015)
Borowy I
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East German medical aid to Nicaragua: the politics of solidarity between biomedicine and primary health care = Assistência médica da Alemanha Oriental à Nicarágua: a política de solidariedade entre a biomedicina e a atenção primária à saúde. História, Ciências, Saúde-Manguinhos, vol.24 no.2 Rio de Janeiro Apr./Jun. 2017
Borowy I