Project Details
Projekt Print View

Criticism today. Theory of society, sociology and critique of the social in France and Germany.

Subject Area Practical Philosophy
Term from 2013 to 2016
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 230431179
 
Final Report Year 2018

Final Report Abstract

Das Projekt, das eine kollektive Reflexion über das Erbe der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule und die aktuell wirkenden "kritischen Theorien" geleistet hat, wurde in drei Forschungsfeldern durchgeführt. Feld 1 unternahm eine genealogische Untersuchung des Begriffs der Kritik im philosophischen Nachkriegsdiskurs in Frankreich und Deutschland. Feld 2 untersuchte die normativen und ontologischen Voraussetzungen der Theorien, welche die Begriffe Gesellschaft und Kritik artikulieren. Feld 3 beschäftigte sich schließlich mit der Aktualität der Kritik, dem politischen Gehalt der Gesellschaftskritik und dem jeweiligen Potenzial von Sozialphilosophie und/oder politischer Philosophie für das Verständnis sozialer Kämpfe. Die Forschung wurde gleichzeitig in historischer, systematischer und zeitdiagnostischer Perspektive durchgeführt und realisierte zum ersten Mal eine enge Kollaboration von französischen und deutschen Forscher/innen und Vertreter/innen der jeweiligen Theorietraditionen. Damit wurde nach Jahrzehnten der gegenseitigen Ignoranz Neuland betreten. Denn wenn auch sporadisch Diskussionen zwischen Einzelpersonen stattgefunden hatten, so wurde innerhalb unseres Projekts zum ersten Mal in einem genuinen Sinne gemeinsame Forschung betrieben. In diesem Rahmen wurde die gesamte Entwicklung der Kritischen Theorie von der ersten bis zur dritten Generation der Frankfurter Schule rekonstruiert, dabei die Beiträge der verschiedenen Einzelwissenschaften (Soziologie, Psychoanalyse, Anthropologie) berücksichtigt und vor allem die Konfrontation des klassischen Frankfurter Modells mit französischen Theorien (Althusser, Rancière, Foucault, Durkheim, Boltanski, Lyotard, Balibar) gesucht. Das erste Ergebnis dieser Kollaboration war, dass ein Inventar der theoretischen Ansätze erstellt werden konnte, das sich dadurch auszeichnet, dass es aus den gegenseitigen Unverständnissen entstanden ist und so unüberwindliche Bruchlinien, aber auch erstaunliche Gemeinsamkeiten aufdeckt. Dies ist das zweite Ergebnis des Projekts: Die Gegensätze der kritischen Theorien beruhen in erster Linie auf ihrem Verständnis dessen, was in sozialen kritischen Praktiken geschieht und wie die Theorie sich zu ihnen zu verhalten hat. Wenn auch alle aktuellen kritischen Theorien den "enthüllenden" Anspruch der Theorie aufgegeben haben und den Akteur/innen selbst eine kritische Kompetenz zuschreiben, so sind sie gespalten in Hinblick auf ihr Verhältnis zu dieser Kompetenz. Ein spontaneistischer Ansatz (Foucault, Rancière), der die lebendige Kritik unmittelbar aufnehmen möchte, steht hier einem Ansatz gegenüber, der die Theorie in den Vordergrund stellt (Durkheimschule, Boltanski, aber auch Honneth) und davon ausgeht, dass nur bestimmte kritische Praktiken ein emanzipatorisches Potential haben, das eben von der Theorie als solches zunächst bestimmt werden muss. Daraus ergab sich ein drittes Ergebnis des Projekts: Der Begriff der Emanzipation wird entweder punktuell verstanden, als Opposition gegen Herrschaft oder Machtverhältnisse, oder als Projekt der Veränderung der Gesamtgesellschaft begriffen. Dies hängt davon ab, welcher Begriff der Gesellschaft in den Theorien verwendet wird: Entweder wird das, was die Praktiken zusammenhält, als Macht oder Herrschaft verstanden, so dass subversive Praktiken all diejenigen sind, die jene verbindenden Strukturen in Frage stellen (Foucault, Rancière, Balibar, Adorno, Marx); oder als "Moral" (Sittlichkeit) der Gesellschaft, die von den Akteur/innen in ihren kritischen Diskursen bemüht wird und auf die die Theorie ihr Projekt kollektiver Emanzipation stützen kann (Habermas, Honneth). Der transversale Ansatz des Projekts brachte mehrere Disziplinen in der interdisziplinären Tradition der kritischen Theorie zusammen, darunter Sozialphilosophie, politische Philosophie, Soziologie, aber auch Rechts-, Informations- und Kommunikationswissenschaften. Die deutsch-französische Dimension des Projekts und die wiederholte Konfrontation zwischen deutschen und französischen Denker/innen war für das gegenseitige Verständnis äußerst fruchtbar. Dabei sind zwei Ergebnisse zentral: 1. Die Bruchlinie innerhalb der kritischen Theorien verläuft nicht entlang des Rheins, sondern entlang des Verständnisses des Verhältnisses von Theorie und kritischen Praktiken. 2. Angesichts der Vervielfältigung der kritischen Praktiken sind beide aktuellen Konzeptualisierungen vor spezifische Probleme gestellt: Diejenige, die einen unmittelbaren Bezug zu den Praktiken sucht, auf Grund von deren radikaler Flüchtigkeit; diejenigen, die sie in Hinblick auf ihren sittlichen Gehalt analysieren, weil sie vor die Herausforderung gestellt sind, die zentralen Begriffe der Sittlichkeit (Freiheit, Solidarität) anhand der gesellschaftlichen Transformationen neu zu formulieren, ohne ihren philosophischen Gehalt aufzugeben.

Publications

 
 

Additional Information

Textvergrößerung und Kontrastanpassung