Kommentierung des 2. Korintherbriefs
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In diesem Projekt wurde die Wirkungsgeschichte des 2. Korintherbriefs (= 2Kor) unter zwei Fragestellungen untersucht: 1. Wie beurteilen die Kirchenväter die rhetorische Gestaltung des 2Kor (Redeschmuck, Argumentationsstruktur, Redegattung)? Ergeben sich daraus Hilfen für die Beurteilung neuerer rhetorischer Textanalysen? Diese Fragen sind zwar für alle Paulusbriefe relevant, machen sich aber vor allem am 2Kor fest, weil Paulus dort schreibt, er sei „ein Amateur in der Rede“ (11,6). 2. Wie verhalten sich die theologischen Begriffe Kraft und Schwachheit, die in 2Kor 10-13 eine zentrale Rolle spielen, in der reformatorischen Auslegung zueinander? Welche konfessionell bedingten Auslegungsmuster gibt es seit der Reformation? Auch diese Fragen lassen sich an alle Paulusbriefe herantragen, betreffen aber den 2Kor in besonderer Weise, denn nirgends sonst reflektiert Paulus so intensiv das Verhältnis von Kraft und Schwachheit. Spitzenaussagen dazu finden sich in 12,9-10: „Die Kraft wird in Schwachheit vollendet. […] (Gerade) dann, wenn ich schwach bin, bin ich stark.“ Zu 1.: Ausgangspunkt der Untersuchung war die zitierte Stelle 11,6, aus der sich schon für die Kirchenväter die Frage ergab: Wie kann Paulus sich selbst als rhetorisch ungebildet bezeichnen, wenn doch seine Briefe mindestens stellenweise einen ganz anderen Eindruck machen und sie nicht nur in der Urkirche, sondern über Jahrhunderte hinweg gewaltige Überzeugungskraft entfaltet haben? Die Auswertung relevanter Texte der Kirchenväter führte zu einem überraschenden Ergebnis: Nicht nur ist die Beurteilung der rhetorischen Bildung des Paulus in diesen Texten sehr gegensätzlich, sondern es ist zu beobachten, dass ein- und derselbe Kirchenvater in unterschiedlichen Zusammenhängen zu gegensätzlichen Urteilen kommt. Diese spannungsvollen Stellungnahmen lassen sich z.T. mit den jeweiligen Intentionen im Kontext erklären. Sie zeigen aber auch, dass die Frage nach der rhetorischen Bildung des Paulus auf der Grundlage seiner Briefe nicht undifferenziert mit Ja oder Nein zu beantworten ist. Neuere rhetorische Textanalysen sind deshalb zwar sinnvoll, dürfen in ihrem Aussagewert aber nicht überschätzt werden (etwa durch ihre Auswertung für literarkritische Fragen). Zu 2.: Viele Texte des 2Kor wurden und werden als Zeugen eines theologischen Konzepts in Anspruch genommen, bei dem Kraft und Schwachheit in einem besonderen, für Paulus typischen Verhältnis stehen sollen: Gerade das Gegenteil von dem, was landläufig als Kraft verstanden wird, also die Schwachheit, das Leiden und letztlich das Kreuz, seien bei Paulus der Ort, an dem Gottes Kraft wahrnehmbar ist. Diese Deutung auf ein paradoxes Ineinander von Kraft und Schwachheit wird in der Regel auf Martin Luther zurückgeführt. Die Untersuchung einer Vielzahl von Luther- Texten zielte nicht auf ein Urteil in der Frage, welche der heute vertretenen Formen von theologia crucis dem Denken Luthers entsprechen und ob Luther damit wirklich ein Zentrum paulinischer Theologie benannt hat. Es ging vielmehr um die Auslegung einschlägiger Texte des 2Kor. Dabei ergab sich: Schwachheit und Stärke fallen weder im 2Kor noch in seinen Auslegungen durch Luther so zusammen, dass ausschließlich in Leidenssituationen die Kraft der Auferstehung zu erfahren ist und dass sie von anderen immer nur mittelbar (z.B. durch die Mitteilung dieser Erfahrung) wahrgenommen werden kann. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass die verbreitete kreuzestheologische Deutung des Verhältnisses von Kraft und Schwachheit bei Paulus zumindest im Blick auf 2Kor zu korrigieren ist.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Der zweite Brief an die Korinther. Teilband 2: 2Kor 7,5-13,13 (EKK VIII/2), Neukirchen-Vluyn 2015
Th. Schmeller
- Rezension von: M. Kowalski, Transforming Boasting of Self into Boasting in the Lord. The Development of the Pauline Periautologia in 2 Cor 10-13 (SJ[L]) Lanham 2013, in: Biblische Zeitschrift BZ 59,2 (2015) 297-299
Th. Schmeller