Städtisches Kulturerbe und Cultural Governance in der südasiatischen Megastadt Delhi/Indien
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Aktuelle Urbanisierungsdynamiken verursachen große Veränderungen und Transformationsprozesse in südasiatischen Städten (z.B. hohes Bevölkerungswachstum, Modernisierungs-streben, Kommerzialisierungs- und Kommodifizierungsprozesse, Infrastrukturentwicklung). Diese Entwicklungen üben einen großen Druck auf das bauliche Kulturerbe dieser Städte aus, welches von zunehmendem Verfall und Verschwinden bedroht ist. Dabei trägt es zentral zur sozialen und gesellschaftlichen Identität bei und besitzt sowohl wirtschaftlich als auch ästhetisch einen großen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit von Städten im internationalen und nationalen Kontext. Der Schutz dieses städtischen Kulturerbes liegt heute nicht nur in der Verantwortung öffentlicher Behörden, sondern ist eingebettet in komplexe Netzwerke zwischen öffentlichen und privaten, individuellen und kollektiven Akteuren, die auf verschiedenen Ebenen gemäß ihren jeweiligen Interessen handeln. In der indischen Hauptstadt Delhi haben verschiedene Epochen einer bewegten Geschichte ihre Spuren hinterlassen. Die Stadt verfügt über zahlreiche historische Gebäude, Denkmäler und Gärten und historische Stadtviertel. Im Zuge der jüngsten Globalisierungs- und Urbanisierungsprozesse nimmt die Stadt jedoch zunehmend die Gestalt einer globalisierten Metropole an und strebt danach, eine Weltklasse-Stadt zu werden. Diese Entwicklung bringt neoliberale (Stadtenzwicklungs-)Praktiken mit sich, welche das räumliche und gesellschaftliche Gefüge der Stadt zunehmend belasten. Das bewilligte Forschungsprojekt untersucht am Beispiel Delhi den aktuellen Umgang mit städtischem Kulturerbe. Um die sektorale Perspektive zu überwinden, die die bestehende Forschung zum städtischen Kulturerbe im indischen Kontext dominiert, wurde ein analytischer Forschungsrahmen entwickelt, die Urban Cultural Heritage Governance. Dieser basiert auf der Konzeptualisierung von drei Governance-Ordnungen, womit die Untersuchung des Umgangs mit städtischem Kulturerbe entlang der Ebenen von Implementierung, Regulierung und vorherrschenden Vorstellungen strukturiert wird. Die Analyse zeigt, dass sich die drei Governance-Ordnungen gegenseitig beeinflussen: Gesellschaftliche und professionelle Diskurse über den Schutz städtischen Kulturerbes haben Einfluss auf die Ausgestaltung des rechtlichen und institutionellen Rahmens, der den Denkmalschutz regelt. Darüber hinaus beeinflussen sie die Art und Weise der Umsetzung von Kulturerbe-Schutzmaßnahmen. Es besteht eine Unvereinbarkeit zwischen gesellschaftlichen Vorstellungen von Kulturerbeschutz und den Zielen der öffentlichen Kulturerbeschutzbemühungen. Die derzeitigen Schutzstrategien in Delhi entsprechen oft nicht den lokalen und gesellschaftlichen Gegebenheiten, und die Interessen verschiedener (lokaler) Interessengruppen werden nicht ausreichend berücksichtigt. Das führt dazu, dass Kulturerbeschutz in Delhi kaum Unterstützung von Seiten der Zivilgesellschaft erfährt. Ein fragmentierter Rechtsrahmen verstärkt diese Situation noch. Auch wenn sich nicht-staatliche Akteure (z.B. NGOs) zunehmend engagieren, besitzen staatliche Akteure in Delhi nach wie vor die Deutungs- und Gestaltungshoheit und geben den Weg vor, auf welche Art und Weise Kulturerbschutz betrieben wird. Neoliberale Ausrichtungen der jüngsten Stadtentwicklungsaktivitäten führen dazu, dem Schutz des kulturellen Erbes nicht (aus Sicht einer kulturerbefördernden Perspektive) die benötigte Priorität einzuräumen. Das Projekt kommt zu dem Ergebnis, dass ein gemeinschaftlich von öffentlichen und zivilen Akteuren entwickelter „indischer“ Ansatz für Kulturerbeschutz ein Weg wäre, den aktuellen lokalen und gesellschaftlichen Gegebenheiten in Delhi gerecht zu werden und das reiche Kulturerbe der Stadt in Zukunft schützen zu können. Hierbei ist es wichtig, ein Gleichgewicht zwischen “westlichen“ Vorstellungen, historische Bauten zu erhalten, und anderen, vielfältig vorherrschenden gesellschaftlichen Vorstellungen über kulturelles Erbe in Delhi zu finden. Der für dieses Forschungsprojekt entwickelte Forschungsrahmen kann aufgrund seines flexiblen Charakters auf weitere Untersuchungsgebiete (z.B. auf Dorfebene, einzelne Kulturstätten) angewendet werden, um ein umfassendes Verständnis der relevanten Governance-Prozesse und -Konfigurationen zu gewinnen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2015): Delhis Kulturerbe - Aushandlungsprozesse um eine bedrohte (mega-)städtische Ressource. In: Geographien Südasiens, 3: 5-8
Trumpp, T.
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(2015): Urban Cultural Heritage in Delhi, India: An Asset for the Future or Neglected Resource? In: Asien 134 (1): 9-29
Trumpp T. and Kraas, F.
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(2019): Urban Cultural Heritage Governance. Understanding the Interlinkages Imagination, Regulation and Implementation in Delhi, India. In: Megacities and Global Change 25. Stuttgart. Franz Steiner Verlag
Trumpp, T.
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(2020): „Die Zukunft städtischer Vergangenheit: Bedeutung und Schutz urbanen Kulturerbes in Asien.“ In: Gerhard, U. and E. Marquardt: Die Stadt von morgen. Heidelberg: 25-52. Heidelberg University Publishing
Kraas, F. and T. Trumpp