Landscapes of Care Drain. Care provision and Care Chains from the Ukraine to Poland, from Poland to Germany
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In diesem Pionierprojekt ging es um die Beschreibung und die Analyse transnationaler Versorgungsketten zwischen den Zielländern Deutschland und Polen, sowie den Entsendeländern Polen und der Ukraine. Der transnationale Migrationsraum der Care-Arbeit (Versorgung von Kindern, Pflegebedürftigen sowie Haushaltsarbeit) der hier Landscapes of Care-Drain bezeichnet wird, reicht von einem EU Anrainerstaat in Osteuropa über Polen als neues EU Mitglied in Mitteleuropa bis nach Westeuropa. Diese Beziehung zwischen Bereitstellung und Abzug von Care-Arbeit wurde bislang in der Region noch nicht untersucht Ziel der Forschung war die Darstellung und Theoretisierung eines globalisierten Phänomens, in dem Akteure aus unterschiedlichen politischen Systemen, Ökonomien und mit heterogenen Biographien auf der Mikro-Ebene der Haushatte miteinander verbunden sind. Durchgeführt im Rahmen eines europäischen Forschungsverbundes (05-ECRP-041 Migration and Networks of Care in Europe), hat diese Studie eine erste Annäherung an ein umfassendes theoretisches Konzept zur Entstehung und Dynamik dieses weltweit wachsenden Arbeitsmarktsektors unternommen. Hierbei handelt es sich um ein interdisziplinär fundiertes Mehrebenen-Modell, das die Einflussfaktoren der Entstehung und Dynamik transnational erbrachter Care-Arbeit in Zusammenhang bringt. Auf der analytischen Makroebene werden länderspezifische institutionelle Rahmen/Rahmungen für das Wachstum und den spezifischen Charakter des Sektors untersucht - Migrations-, Care- und Genderregime des Entsende- und des Aufnahmestaates. Auf der Mesoebene wird die Rolle vermittelnder Akteure, z.B. der Vermittlungsagenturen oder der informellen Netzwerke festgehalten. Für die Mikroebene werden Alltagspraktiken der Migrantinnen und ihrer Familien in den Herkunftsländern analysiert. Operationalisiert wird die Mehrebenenanalyse mithilfe des Intersektionalitätsansatzes, bei dem die Überschneidungen zwischen den Ebenen im Mittelpunkt stehen. Die starke Präsenz undokumentierter Beschäftigungsverhältnisse osteuropäischer Pflegerinnen in deutschen Haushalten ist ein „offenes Geheimnis"- nicht nur bei den Betroffenen, die diese Arbeit illegal in Anspruch nehmen, sondern auch in der Politik, die dieser Entwicklung einerseits über die Vergabe der Familien-orientierten Pflegegelder Vorschub leistet andererseits jedoch mittels einer restriktiven Migrationspolitik Schranken setzt. Über die deutsche Presseanalyse, in der der so genannte Pflegenotstand ein wichtiges Thema ist, kann verdeutlicht werden, dass die betroffenen Care-Empfänger, ihre Betreuerinnen (die Migrantinnen) und der deutsche Staat in diesem Feld eine Art Komplizenschaft eingehen. Weiterhin hat die Studie auf der analytischen Meso-Ebene einen wichtigen Trend im Pflegesektor ans Tageslicht gebracht, der bis dato in der wissenschaftlichen Literatur nicht präsent war. Mit Eingang der EU-Osterweiterung 2004 hat die Bundesregierung den Arbeitsmarkt für Bürger der neuen EU-Mitgliedsländer zwar bis 2011 gesperrt, dennoch gilt seitdem auch für die gesamte EU die Niederlassungsfreiheit der EU-Bürger und die Dienstleistungsrichtlinie, die die Freizügigkeit für grenzüberschreitende Dienstleistungen zulässt Über letztere hat sich auch in Deutschland ein neuer Beschäftigungssektor etabliert, der über eine wachsende Anzahl von transnationalen Vermittlungsagenturen agiert - vor allem im Pflegesektor, aber auch im Au-pair-Bereich So werden etwa Selbstständige bzw. entsendete Arbeitsnehmer aus Polen in deutsche Haushalte vermittelt. Dieser Sektor kann sicherlich als eigentlicher Gewinner betrachtet werden. Die Mikro-Ebene der transnationalen Lebensführung von Migrantinnen und ihren Familien wurde mithilfe der Analyse ihrer Biographien und Alltagspraktiken erschlossen, wobei sich auch hier Diskurse, Politiken und Netzwerke in den individuellen Biographien spiegeln. Für die Erforschung der Care-Arrangements in den transnationalen Haushalten der Herkunftsländer erweis sich die Debatte über transnationale Elternschaft als wichtiger Referenzrahmen und zwar besonders dort, wo es um die sogenannte Mutterschaft aus der Distanz geht. Die Abwesenheit der Mütter wird in Entsende- und Zielländern in der Regel als Defizit betrachtet. In politischen und öffentlichen Diskursen der Herkunftsländer werden migrierende Mütter als verantwortungslose ,Rabenmütter' skandalisiert, und Familienforscher sprechen immer dann von ,fragmentierten Familien', wenn die Mutter - nicht der Vater - abwesend ist. Auf Basis der Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zeichnet sich dagegen ein sehr viel komplexeres Bild ab, in dem die verschiedenen Formen der Mutterschaft als Sorge um und Sorge für Kinder sichtbar werden und die Lebensweise als „transnationale Mutter" als eine Option von gelebter Elternschaft emergiert. Faktisch ist die Care-Beziehung zwischen den Migrantinnen und ihren Familien abhängig von der Qualität der transnationalen Kommunikation, der Frequenz und Intensität der Kontakte mit dem Kind, aber auch den Ideologien und Diskursen über Mutterschaft/Familie und von den jeweiligen die Migrationsregimen der Aufnahmelander, die Familienzusammenführung nicht ermöglichen. Insgesamt zeichnet sich in unserer Forschung ab, dass negative Folgen des Versorgungsabzugs in den Herkunftsländern vor allem dort entstehen, wo das stellvertretende Betreuungsarrangement instabil ist oder durch Krankheiten etc. besondere Schwierigkeiten auftreten. Auch hat sich herausgestellt, dass Kinder mit der Abwesenheit der Mütter vor allem dann besser umgehen können, wenn solch eine Situation in ihrer direkten Umgebung ,normalisiert' ist. Die Frage der Wahrnehmung der Abwesenheit der Mütter als Defizit ist damit nicht nur eine Frage des jeweiligen familiären Care-Arrangements, sondern auch deren Einbettung in Debatten und institutionelle Regelungen, die die Handlungsspielräume für die betroffenen Familien erweitern oder einschränken.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2007) „...nicht Dr. Jekyll and Mr. Hyde, aber wir haben schon zwei Seiten" - Transnationale Identitäten oberschlesischer Doppelstaatler. In: Magdalena Nowicka (Ed.): Von Polen nach Deutschland und zurück. Die Arbeitsmigration und ihre Herausforderungen für Europa. Bielefeld 2007: transcript Verlag, S. 227-246
Ewa Palenga-Möllenbeck
- (2008): Migration and Domestic Work. A European Perspective on a Global Theme. Aldershot: Ashgate
Helma Lutz
- (2008): Sprich (nicht) drüber - Fürsorgearbeit von Migrantinnen in deutschen Privathaushalten. In: Mechtild M. Jansen (Hg.): Pflegende und sorgende Frauen und Männer. Aspekte einer künftigen Pflege im Spannungsfeld von Privatheit und Professionalität. Serie: Polis 49 Analysen-Meinungen-Debatten, Wiesbaden: Hessische Zentrale für Politische Bildung, S. 59-74
Helma Lutz
- (2008): When Home Becomes a Workplace: Domestic Work as an Ordinary Job in Germany? In: Helma Lutz (Hg.): Migration and Domestic Work. A European Perspective on a Global Theme. Aldershot: Ashgate, S. 43-60
Helma Lutz
- (2009) Who cares? Migrantinnen in der Pflege in deutschen Privathaushalten. In: Christa Larsen, Angela Joost & Sabine Heid (Hg.): Illegale Beschäftigung in Europa. Die Situation in Privathaushalten älterer Personen, München/Mering, S. 41-50
Helma Lutz
- (2009): "Unsichtbare Übersetzerinnen" in der transnationalen Forschung: Übersetzung als Methode. In: Helma Lutz (Hg.), Gender Mobil? Geschlecht und Migration in transnationalen Räumen. Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 158-173
Ewa Palenga-Möllenbeck
- (2009): Gender Mobil? Geschlecht und Migration in transnationalen Räumen. Münster: Westfälisches Dampfboot
Helma Lutz (Hg.)
- (2010): Care work migration in Germany: Semi-compliance and complicity. In: Majella Kilkey / Helma Lutz / Ewa Palenga-Möllenbeck (Hg.): Domestic and Care work at the Intersection of Welfare, Gender and Migration Regimes: Some European experiences. Special Issue for the Journal Social Policy and Society 9 (3): Cambridge University Press, S. 419-430
Helma Lutz/Ewa Palenga-Möllenbeck
- (2010): Domestic and Care work at the Intersection of Welfare, Gender and Migration Regimes: Some European experiences. Themed Section in: Social Policy and Society 9 (3): Cambridge University Press (Ed.), p. 379-460
Majella Kilkey, Helma Lutz, Ewa Palenga-Möllenbeck
- (2010): Gender in migratory processes. In: Journal of Ethnic and Migration Sudies
Helma Lutz
(Siehe online unter https://dx.doi.org/10.1080/1369183X.2010.489373) - (2010): Introduction: Domestic and Care Work at the Intersection of Welfare, Gender and Migration Regimes: Some European Experiences. In: Majella Kilkey, Helma Lutz and Ewa Palenga-Möllenbeck (Hg.): Domestic and Care work at the Intersection of Welfare, Gender and Migration Regimes: Some European experiences. Special Issue for the Journal Social Policy and Society 9 (3): Cambridge University Press, S 379-384
Majella Kilkey, Hetma Lutz, Ewa Palenga-Möllenbeck
- (2010): Some Useful Sources. In: Majella Kilkey, Helma Lutz and Ewa Palenga-Möllenbeck (Hg.): Domestic and Care work at the Intersection of Welfare, Gender and Migration Regimes: Some European experiences. Special Issue for the Journal Social Policy and Society 9 (3): Cambridge University Press, S. 455-460
Ewa Palenga-Möllenbeck, Helma Lutz, Majella Kilkey
- (2010): Unsichtbar und Unproduktiv? Haushalts- und Care-Arbeit - die Rückseite der Arbeitsgesellschaft (2010). In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie Themenheft: Arbeit im Alltag, Biografie, Gesellschaft 2/2010, S. 23-37
Helma Lutz