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Europäische Integration im Kontext des Rechts
Antragsteller
Privatdozent Dr. Andreas Grimmel
Fachliche Zuordnung
Politikwissenschaft
Förderung
Förderung in 2013
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 234869702
Die Einigung Europas ist heute weit mehr als nur ein politisches Projekt. Sie findet in unterschiedlichen und gleichsam eigenständigen Kontexten statt. Das europäische Recht ist eben solch ein Kontext und folgt einer eigenen, rechtsspezifischen „Logik" der Integration. Die europäische Rechtsgemeinschaft sollte daher nicht als ein bloßes (Bei)Produkt des politischen Marktes aufgefasst werden. Ebenso wenig ist der Europäische Gerichtshof (EuGH) - einer ihrer zentralen Vertreter - als ein interessengeleiteter oder gar politischer Akteur zu konzipieren. Vielmehr ist es notwendig, den europäischen Rechtskontext in seiner Autonomie ernst zu nehmen und ihn als selbständigen Bereich des Denkens, Räsonierens, Handelns und der Verständigung zu begreifen. Und genau hierin - in der Möglichkeit einer Verständigung mittels eines geteilten Rechtsverständnisses - liegt letztlich auch seine integrative Kraft begründet.Ausgehend von den Arbeiten Max Webers und Ludwig Wittgensteins wird in dem Werk „Europäische Integration im Kontext des Rechts" mit dem Konzept der Kontextrationalität ein analytischer Weg zwischen Rationalismus und Poststrukturalismus vorgestellt, der eine Lücke in der aktuellen Forschung schließt. Diese Lücke besteht, kurz gesagt, darin, dass sich die bisherige theoriegeleitete Europawissenschaft weniger der Integration durch Recht, sondern eher der durch rationale Akteure produzierten Integration im Bereich des Rechts gewidmet hat. Der eigentliche Kern des Problems in den bisherigen Ansätzen ist jedoch weniger die Annahme, die Akteure der Integration seien rational, als vielmehr die Tatsache, dass das triviale und zugleich universalistische Modell der Rationalität, das heute noch immer im- oder explizit das Fundament der überwiegenden Zahl politikwissenschaftlicher Erklärungen darstellt, dem Denken und Handeln im Recht nicht entspricht. Die Erklärungsmuster und Annahmen, die ursprünglich für Integrationsprozesse in Politik und Ökonomie entwickelt wurden, sind eins-zu-eins auf den Bereich des Rechts und den Europäischen Gerichtshof übertragen worden. Und dies, obwohl die Zuversicht in die Erklärungskraft eines „One-Fits-All-Ansatzes" vor dem Hintergrund moderner, funktional differenzierter Gesellschaften als kaum passend erscheinen muss. Anders gesagt, obwohl die Rechtsintegration und deren zentrale Akteure ausgiebig untersucht und beschrieben wurden, ist das Recht selbst, als eigenständiger Handlungskontext und intervenierende Variable, bislang in der theoriegeleiteten Forschung weitgehend unberücksichtigt geblieben.Mit dem Konzept der Kontextrationalität wird ein Ansatz bevorzugt, der sich von den bisherigen Erklärungen unterscheidet, indem er das Recht und seine spezifische, kontextabhängige Rationalität zum Ausgangspunkt macht. Anstatt von nur einer feststehenden Rationalität auszugehen, wird hier für einen Rationalitätspluralismus argumentiert: Was rational, nicht-rational oder sogar irrational ist, definiert sich durch den Kontext und die Summe der dort jeweils sprach-praktisch geltenden Regeln. Dieser Argumentation folgend wird das europäische Recht als ein spezifischer - lokal, temporal und funktional differenzierter - Denk- und Handlungsraum mit einer eigenen Form der Rationalität und insofern auch einem eigenen Modus der Integration aufgefasst und analysiert. Anhand von aktuellen Fallstudien zur Grundrechtsjudikatur des Europäischen Gerichtshofs wird gezeigt, wie eine Kontextanalyse zu einem angemessenen Verständnis von Integrationsprozessen durch Recht in Europa und anderswo führen könnte.
DFG-Verfahren
Publikationsbeihilfen