Die Geschichte des Kauf- und Konsumboykottes in Deutschland seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Forschungsprojekt analysierte am deutschen Beispiel die Geschichte von Kauf- und Konsumboykotten seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert als katalysatorische Momente der Durchsetzung soziomoralischer und politischer Anliegen über Märkte. Es zielte darauf ab, erstmals die historische Tiefendimension von Konsumboykotten zu beleuchten und mittels quellenbasierter und archivgestützter Grundlagenforschung gegenwartsorientierte Theorien der Moralisierung von Märkten auf ihre historische Plausibilität zu überprüfen und somit diesbezüglich bestehende Forschungslücken zu schließen. Die wesentlichen Grundannahmen und Prämissen des Projekts konnten bestätigt werden. Aufbauend auf einer breiten empirischen Basis zahlreicher aussagekräftiger Quellenbefunde gelang eine differenzierte Betrachtung moralisierten Verbraucherverhaltens bzw. moralisierter Märkte. Erstens konnte gezeigt werden, dass die Moralisierung von Märkten ein überaus voraussetzungsvolles Resultat aktiver Einflussnahme durch unterschiedliche Bewegungsakteure ist. Ideologische Vorbehalte gegenüber dem Rekurs auf marktliche Handlungslogiken und der Einsatz von Boykotten schließen sich hierbei nicht aus. Zweitens lassen sich diese Bemühungen zur Moralisierung von Märkten bis in Zeitabschnitte zurückverfolgen, die den gängigen Annahmen zur Moralisierung von Märkten als zeitgenössischem Phänomen widersprechen. Hieraus leitet sich – drittens – eine hohe zeitliche Relationalität moralisierter Märkte ab. Zentrales Ergebnis des Projektes in diesem Kontext ist die konjunkturelle Interpretation der Moralisierung(en) von Märkten: Zu bestimmten Epochen lässt sich seitens der Boykottakteure eine verstärkte Bezugnahme auf spezifische soziomoralische Begründungszusammenhänge nachweisen – gewissermaßen als zeitliche Verdichtung marktvermittelter Moralisierungsbemühungen. Anhand der den jeweiligen Kampagnen zugrunde gelegten soziomoralischen Anliegen konnten für den Untersuchungszeitraum (1890-1990) mindestens zehn solcher ‚Boykottcluster‘ identifiziert werden. Außerwissenschaftliche Öffentlichkeiten konnten durch die die Teilnahme an einer Tagung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalens (05/2016) sowie Berichte in regionalen Zeitungen (Beilage „unizeit“ in den Kieler Nachrichten vom 09.04.2016 und Publikationen des Schleswig-Holsteinischen-Zeitungsverlages vom 14.01.2017) und ein Radiointerview (Radio Dreyeckland, Freiburg, 24.04.2017) erreicht werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2015): The History of Boycott Movements in Germany. Restrictions and Promotion of Consumer Well-Being, in: Michael Lee; Stefan Hoffmann (Hrsg.), Anti-consumption and Consumer Well-being (ICAR-Proceedings), Kiel, S. 4-9
Gerth, Martin
- (2016): Konsumboykotte im Spannungsfeld von Markt, Zivilgesellschaft und Staat. ‚Alte‘ und Neue Soziale Bewegungen im Vergleich, in: Forschungsjournal Soziale Bewegungen, Jg. 29, Nr. 3, S. 112-121
Lingelbach, Gabriele; Gerth, Martin
(Siehe online unter https://doi.org/10.1515/fjsb-2016-0230) - (2017): Wenn Verbraucher streiken. Ein Überblick zu Rahmenbedingungen moralisierten Verbraucherverhaltens am Beispiel des Konsumboykotts zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs in: Christian Bala u. a. (Hrsg.), Verbraucher in Geschichte und Gegenwart. Wandel und Konfliktfelder in der Verbraucherpolitik (Beiträge zur Verbraucherforschung, Bd. 7), Düsseldorf 2017, S. 85-103
Gerth, Martin
(Siehe online unter https://dx.doi.org/10.15501/978-3-86336-916-3_6)