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Sowjetisches Nürnberg? Untersuchungen und Prozesse gegen Täter des Großen Terrors in der Sowjetunion 1938-1941 und 1954-1961

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Strafrecht
Förderung Förderung von 2013 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 236175271
 
In den Nürnberger Prozessen sind Vertreter des Dritten Reichs wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden. Sie haben einen Blick auf die Täter im nationalsozialistischen Deutschland eröffnet. Weder in der Sowjetunion noch im postsowjetischen Russland hat Vergleichbares zum großen Morden und zur massenhaften Lagereinweisung während des Großen Terrors 1937-1938 stattgefunden. Die betreffenden Täter führen bis heute ein Schattendasein. Dennoch hat es zwei verblüffende historische Episoden gegeben, in denen sowjetische Täter, hauptsächlich Kader der Geheimpolizei und der normalen Polizei (Miliz), der Prozess gemacht wurde. Gegenstand des Projekts sind Untersuchungen und Prozesse gegen Exekutoren des Großen Terrors im Zeitraum von 1938-1961. Dreh und Angelpunkt bilden die Untersuchungen und Prozesse des sog. Kleinen Berija-Tauwetters 1938-1941 in der Ukraine. Angeklagt waren Mitarbeiter von Geheimdienst und Miliz, die während des Großen Terrors die sozialistische Gesetzlichkeit aufs gröbste verletzt hatten. Am 9.1.1939 sagte der Leiter der Gefängnisabteilung des Gebiets Zhitomir (Ukraine) M. Z. Gluzman z. B. aus, dass das Erschießungskommando den Opfern Goldzähne und Kronen ausgerissen hätte. Ferner habe man die Prozedere der Tötung vereinfacht. 100 Personen seien zusammengefesselt und dann durch Schläge mit Eisenstangen auf den Kopf getötet worden. Ihre historische Dimension erhält die Untersuchung einerseits durch einen Vergleich der Kernmaterialien aus den Jahren 1938-1941 mit Untersuchungen und Prozessen gegen trotzkistische Verschwörungen im NKVD unmittelbar vor 1938, d.h. zwischen 1936 und Sommer 1938, und andererseits durch die Heranziehung von Untersuchungs- und Prozessakten aus Verfahren gegen Täter aus den Jahren 1954-1961 in Georgien, die ebenfalls die Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit während der Stalin-Ära zum Gegenstand hatten. Hauptthese ist, dass schon Ende der dreißiger Jahre in der Sowjetunion der Grundstein für eine breitere juristische Untersuchung von Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit im Großen Terror gelegt wurde. Weiter sensibilisiert durch die Nürnberger Prozesse und schließlich ermöglicht und getragen durch die Entstalinisierung, so zögernd sie auch durchgeführt wurde, mündete dies in den 50-ger Jahren in einige große (Tiflis, Leningrad) und landesweit viele kleine Täterprozesse, die auf der Grundlage der entsprechenden Unterlagen des Kleinen Berija-Tauwetters und der neuen Prozesse ein Stück weit zur Aufklärung von Verbrechen beitrug und schließlich die Rehabilitierung tausender von Opfern der Stalin-Ära ermöglichte. Aufklärungswille gepaart mit politischer Verschleierungstaktik ist das kennzeichnende Merkmal beider Perioden. Auf der Basis des neu entdeckten Materials können spezielle sowjetische Tätertypologien herausgearbeitet werden. Sie scheinen sich von denen im nationalsozialistischen Deutschland signifikant zu unterscheiden.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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