Systemwechsel und Vermögenstransfer vom "Dritten Reich" zur Bundesrepublik am Beispiel Hamburgs.1. Die Beschlagnahme, Rücknahme, Abwicklung und Übertragung des ehemaligen NS- und Reichsvermögens 1945-1970.2. Der Umgang mit beschlagnahmtem Individualvermögen von Nationalsozialisten nach 1945.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Betrachtung der Erfassung, Kontrolle und Umverteilung der NS- und Reichsvermögen hat einen neuen Blick auf die Transformation des polykratischen NS-Systems in die föderale Ordnung der Bundesrepublik ermöglicht. In dem Prozess der Umverteilung verfolgte jeder daran beteiligte politische, administrative und private Akteur eigene Interessen und Pläne. Die wichtigsten interessierten Parteien an den Vermögen waren die Bundesregierung, die Bundesländer, die neu gegründeten Konsumgenossenschaften, Gewerkschaften und Parteien, aber auch private Vereine und sogar einzelne Personen. Dieser Kampf um Berücksichtigung bei der Verteilung der umfassenden Vermögenswerte der NS-Organisationen und des Deutschen Reichs war materiell prägend für die Bundesrepublik. Es wurde deutlich, dass in der Transformationsphase nicht nur Vermögenswerte rückerstattet wurden, sondern stattdessen in umfassendem Maß Vermögen an neue Besitzer vergeben wurden. Dies hatte zur Folge, dass nicht etwa der Zustand der Weimarer Republik wiederhergestellt wurde, sondern analog zur Neuverteilung von Kompetenzen mit dem Grundgesetz auch Vermögenswerte ganz neu vergeben wurden, die alten, aber auch ganz neuen Akteuren ermöglichten, sich an der Formierung der jungen Gesellschaft zu beteiligen. Der Rahmen dieser Umverteilung wurde zwar von den Alliierten durch Gesetze und Interventionen vorgegeben. Letztlich ausgestaltet wurde er aber von den beteiligten deutschen Stellen. Ihnen bot sich schon früh die Möglichkeit, Einfluss auf die Verteilung zu nehmen und auch vor ihrem offiziellen Abschluss bereits Präjudize für spätere Entscheidungen zu schaffen. In diesem Konflikt konnten Gewinner und Verlierer ausfindig gemacht werden. Zu den Gewinnern gehörten eindeutig die Bundesländer, die sich eine Art Erstausstattung für ihre neuen Aufgaben in der kommenden Gesellschaftsstruktur sichern konnten. So gelang es dem Land Hamburg, sich fast die Hälfte aller ehemaligen Reichsgrundstücke innerhalb seiner Grenzen zu sichern. Aber auch die im DGB organisierten Gewerkschaften profitierten von der Verteilung. Sie konnten nicht nur die Einheitsorganisation schaffen, die sie sich schon in der Weimarer Republik gewünscht hatten, sondern auch Konkurrenzorganisationen früh marginalisieren. Die Verteilung der NS- und Reichsvermögen prägte die Machtverhältnisse im jungen deutschen Staat nachhaltig, indem sie einzelne Akteure mit mehr Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten ausstattete als andere. Damit ist die Vermögensverteilung, die bisher von der wissenschaftlichen Forschung kaum beachtet wurde, ein wichtiger Teil der Aufbaugeschichte der Bundesrepublik.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Herrenlos und hoch begehrt. Zum Umgang mit dem NS- und Reichsvermögen nach 1945 in Hamburg, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte (Hg.): Zeitgeschichte in Hamburg 2014, Hamburg 2015, S. 84-97
Marc-Simon Lengowski