Mechanismen der Material- und Formwahrnehmung lichtdurchlässiger Objekte
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Wir beschäftigten uns in zwei Teilprojekten mit der Wahrnehmung lichtdurchlässiger Objekte. Das erste Teilprojekt bezog sich auf die Wahrnehmung des Materials. Es geht dabei darum, welche Bedingungen im retinalen Bild vorliegen müssen, damit überhaupt ein Transparenzeindruck entsteht, und welche Reizmerkmale gegebenenfalls die wahrgenommenen Transmissionseigenschaften des Materials bestimmen. In der aktuellen Projektphase untersuchten wir vor allem Transparenzkonstanz, d. h. die Frage, inwieweit bei fixierten physikalischen Filtereigenschaften die wahrgenommenen Materialeigenschaften robust gegenüber Änderungen der Kontextbedingungen sind. Bisherige Befunde hatten auf einen relativ geringen Grad an Konstanz bei einem Beleuchtungswechsel hingedeutet und unser Fokus lag darauf, mögliche Gründe dafür zu untersuchen. In einer ersten Studie variierten wir sechs Bedingungen, u. a. Stereopsis und Relativbewegung von Objekt und Hintergrund, die vor allem die perzeptuelle Trennung des transparenten Objekts vom Hintergrund unterstützen sollten. Da günstige Bedingungen zwar tatsächlich zu einer deutlich verbesserten Transparenzerkennung, aber nur zu einer geringen Erhöhung der Konstanzleistung führten, scheint hier allerdings nicht die zentrale Ursache für die geringe Konstanz zu liegen. In einer weiteren Studie variierten wir die Natürlichkeit der Szene, indem eine realistische 3D-Szene mit eingebettetem Filter zunehmend vereinfacht wurde, bis hin zu dem typischerweise verwendeten 2D-Farbmosaik. Hier zeigte sich tatsächlich eine systematische Verbesserung der Konstanzleistung mit zunehmender Komplexität und es spricht vieles dafür, dass dies darauf zurückgeht, dass in komplexen Szenen eine verbesserte Schätzung der Beleuchtungsänderung möglich ist. In einer dritten Studie haben wir untersucht, wie die Konstanzleistung durch Art und Anzahl der Hintergrundfarben beeinflusst wird. Wir zogen für den Hintergrund der Testszene entweder 2 oder 10 Farben zufällig aus 162 Farben einer vorgegebenen, neutral beleuchteten Standardszene. Bei einem Filterabgleich zwischen Test- und Standardszene zeigte sich bei 2 Farben deutlich weniger Transparenzkonstanz als bei 10 Farben. Dieser Unterschied verschwand aber, wenn der Farbmittelwert bei 2 und 10 Farben angeglichen wurden. Dies legt nahe, dass die Anzahl der Hintergrundfarben den Grade der Transparenzkonstanz nicht direkt beeinflusst. Stattdessen scheint der beobachtete Effekt über eine genauere Schätzung der mittleren Farbe der Standardszene (die wiederum näherungsweise der Beleuchtungsfarbe entspricht) bei zunehmender Anzahl von Farben vermittelt zu sein. Das zweite Teilprojekt widmete sich der Formerkennung bei lichtdurchlässigen Objekten, die bislang kaum untersucht wurde. Wir identifizierten zunächst drei potenzielle transparenzspezifische Formhinweise, nämlich Hintergrundverzerrungen, Helligkeitsänderung durch Absorption und Verzerrungen der Spiegelung der Umgebung an Oberflächen, und untersuchten in Simulationsstudien, unter welchen Bedingungen sie nutzbar sind und inwieweit sie gegebenenfalls mögliche 3D-Formen einschränken. Eine umfassende Untersuchung dieser Frage war angesichts der Komplexität dieser Hinweisreize allerdings nicht möglich. In zwei experimentellen Untersuchungen wurde dann die Genauigkeit der Formerkennung bei transparenten und opaken Objekten verglichen. Dazu wurden fotorealistisch gerenderte 3D-Objekte vorgegeben und mit der sog. Gauge-Figure-Task, bei der die Versuchspersonen an vielen Oberflächenpunkten mittels einer „Messsonde“ die wahrgenommene Oberflächennormale einstellen, die Formwahrnehmung ermittelt. In der ersten Untersuchung wurde dabei die Verfügbarkeit bestimmter Hinweisreize variiert, in der zweiten außerdem die Beobachtungsbedingungen (Beobachterposition statisch/bewegt, stereoskopisch ja/nein). Es zeigte sich, dass die Formerkennung bei transparenten Objekten bei gleichen Bedingungen schlechter ist als bei opaken, wobei der Nachteil bei hohlen transparenten Objekt weniger stark ist. Stereoskopische Betrachtung verbesserte in allen Bedingungen die Formerkennung. Bewegung verbesserte dagegen nur bei transparenten Objekten die Formerkennung drastisch, während wir bei opaken Objekte keinen Effekt fanden. Alle Hinweisreize beeinflussten die Formerkennung transparenter Objekte, allerdings in ziemlich komplexer Weise. Insbesondere kann sich die Wirkung des Hinzufügens eines Hinweisreizes bei hohlen und massiven Objekten unterscheiden, was darauf hindeutet, dass nicht nur das Material, sondern weitere Randbedingungen eine wesentliche Rolle spielen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2014). Are optical distortions used as a cue for material properties of thick transparent objects? Journal of Vision, 14(14), 2–2
Schlüter, N., & Faul, F.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1167/14.14.2) - (2014). Background distortion does not contribute to the perceived material properties of thick transparent objects. Posterpräsentation auf der 56. Tagung experimentell arbeitender Psychologen (TeaP), Gießen, Deutschland
Schlüter, N. & Faul, F.
- (2014). Does the degree of constancy in transparency perception depend on the experimental task? Posterpräsentation auf der 56. Tagung experimentell arbeitender Psychologen (TeaP), Gießen, Deutschland
Falkenberg, C. & Faul, F.
- (2015). The effect of background and presentation mode on transparent layer constancy. Posterpräsentation auf der 38th European Conference on Visual Perception (ECVP), Liverpool, England
Falkenberg, C. & Faul, F.
- (2015). The role of background distortion for material matches of transparent objects. Posterpräsentation auf der 38th European Conference on Visual Perception (ECVP), Liverpool, England
Schlüter, N. & Faul, F.
- (2015). Transparent layer constancy under changes in illumination color: Does task matter? Vision Research, 116, 53–67
Faul, F., & Falkenberg, C.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.visres.2015.09.003) - (2019). Untersuchungen zur visuellen Wahrnehmung der Form- und Materialeigenschaften dreidimensionaler transparenter Objekte. Dissertation, Universität Kiel
Schlüter, N.
- (2016). Matching the Material of Transparent Objects: The Role of Background Distortions. I- Perception, 7(5), 2041669516669616
Schlüter, N., & Faul, F.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1177/2041669516669616) - (2017). Perceiving the shape of transparent objects. Posterpräsentation auf der 40th European Conference on Visual Perception (ECVP), Berlin, Deutschland.
Schlüter, N. & Faul, F.
- (2017). The role of articulation in transparent layer constancy. Posterpräsentation auf der 40th European Conference on Visual Perception (ECVP), Berlin, Deutschland
Falkenberg, C. & Faul, F.
- (2017). Toward a Perceptually Uniform Parameter Space for Filter Transparency. ACM Trans. Appl. Percept., 14(2), 13:1–13:21
Faul, F.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1145/3022732) - (2019). Influence of disparity and motion cues on the shape perception of transparent objects. Posterpräsentation auf der 42th European Conference on Visual Perception (ECVP), Leuven, Belgien
Schlüter, N. & Faul, F.
- (2019). Transparent layer constancy in naturalistic rendered 3D scenes. Posterpräsentation auf der 42th European Conference on Visual Perception (ECVP), Leuven, Belgien
Falkenberg, C., & Faul, F.
- (2019). Transparent layer constancy is improved by motion, stereo disparity, highly regular background pattern, and successive presentation. Journal of Vision, 19(12), 16–16
Falkenberg, C., & Faul, F.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1167/19.12.16) - (2019). Visual shape perception in the case of transparent objects. Journal of Vision, 19(4), 24– 24
Schlüter, N., & Faul, F.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1167/19.4.24)