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Das Verhältnis von Infrastrukturen und Dörflichkeit

Fachliche Zuordnung Soziologische Theorie
Förderung Förderung von 2013 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 236451363
 
Erstellungsjahr 2016

Zusammenfassung der Projektergebnisse

In dem Projekt wurden in Dörfern lokalisierte Infrastrukturen untersucht, wie Dorfladen, Café, Kirche, Gasthaus, Bäckerei oder Kindergarten. Für die empirische Erhebung wurden leitfadengestützte Interviews mit den Betreiber/innen wie auch den Nutzer/innen dieser räumlich-fixierten Infrastrukturen geführt. Die Interviewfragen zielten darauf, zu erfahren, welche Vorleistungen die infrastrukturellen Einrichtungen aus der Sicht der Betreiber/innen und Nutzer/innen erbringen bzw. bereitstellen sollten, an welcher Art von infrastruktureller Sozialität sich die Betreiber/innen orientieren und welche die Nutzer/innen erwarten, welchem infrastrukturellem Regelwerk die Betreiber/innen in ihrer Einrichtung Geltung verschaffen und welche Regeln die Nutzer/innen wünschen und befolgen. Die Antworten der Betreiber/innen und der Nutzer/innen unterschieden sich nur unmerklich, was für eine weitgehend gemeinsame Auffassung der dörflichen Infrastrukturen spricht. Zunächst ist bemerkenswert, dass die Eigenschaften der dörflichen Infrastrukturen – sprich die Vorleistungen, die Sozialität, der Raumbezug sowie das Regelwerk – mit Bezug auf Dörflichkeit erläutert werden. Unter Dörflichkeit werden die Besonderheiten der Sozialität verstanden, von denen die Dorfbewohner erzählen, wenn sie das Leben im Dorf beschreiben. Systematisch lassen sich drei Facetten identifizieren, die die Dorfbewohner als typisch für Dörflichkeit bezeichnen: ein Füreinander, ein Miteinander und „gleiche Gesinnungen“. Die überwiegende Mehrzahl der dörflichen Infrastrukturen ist so eingerichtet, dass sie an der Erzeugung von Dörflichkeit mitwirken oder auf Dörflichkeit gründen. Insgesamt sollen die Infrastrukturen dazu dienlich sein, Dörflichkeit zu stabilisieren. Nur in ganz wenigen Fällen wird ein Spannungsverhältnis von Infrastruktur und Dörflichkeit hergestellt und gutgeheißen. In den von uns untersuchten dörflichen Einrichtungen wird der Herstellung einer an Dörflichkeit orientierten infrastrukturellen Sozialität ein deutlicher Vorrang gegenüber den infrastrukturellen Vorleistungen und dem Regelwerk zugewiesen. Die Art der infrastrukturellen Verräumlichung war gesetzt: Nur räumlich fixierte und lokalisierte Infrastrukturen wurden analysiert. Die Leistungen der dörflichen Infrastrukturen, etwa die Nahversorgung durch den Dorfladen oder der Getränkeausschank im Gasthaus, werden von den meisten Betreiber/innen wie Nutzer/innen als nachrangig beurteilt. Auch das infrastrukturelle Regelwerk ist kaum auf die Bereitstellung der Vorleistungen abgestimmt. Es ist ebenfalls darauf ausgerichtet, die Ausbildung einer solchen infrastrukturellen Sozialität zu begünstigen, die der dörflichen Sozialität entspricht. Wir haben nur zwei Ausnahmen gefunden: erstens eine Kirchengemeinde, die der Sozialität der Dörflichkeit die Sozialität einer überräumlichen Glaubensgemeinschaft entgegenstellt, zweitens die Betreiberin eines Dorfcafés, die mit der Einrichtung eine christliche Drogentherapie bekannt machen möchte. Empirisch können zwei Varianten unterschieden werden, wie die Abstimmung von infrastruktureller Sozialität und Dörflichkeit zustande kommt: a) die Infrastruktur ist an Dörflichkeit orientiert, die Vorleistungen und das Regelwerk sind auf die Dörflichkeit ausgerichtet; b) Dörflichkeit bildet den Ausgangpunkt für die Errichtung der dörflichen Infrastruktur oder den Grund, diese weiterzutreiben, obwohl sie sich eigentlich nicht mehr rentiert. Da die Dörflichkeit den Grund für die Infrastruktur darstellt, sind das Regelwerk sowie die Vorleistungen genau auf diese zugeschnitten. Die untersuchten dörflichen Infrastrukturen sind weitgehend auf die Herstellung einer bestimmten infrastrukturellen Sozialität konzentriert. Diese Eigenschaft rückt gegenüber den Vorleistungen und dem Regelwerk in den Vordergrund. Damit ist das Regime der dörflichen Infrastrukturen beinahe vollkommen auf die infrastrukturelle Sozialität ausgerichtet, und diese wiederum ist beinahe gänzlich an Dörflichkeit orientiert. Dies impliziert die Herstellung bzw. Stabilisierung einer sozial-räumlichen Ordnung, die sich auf Dörflichkeit als soziale Einheit beschränkt. Die untersuchten lokalen Infrastrukturen haben zwar einen territorialisierten Raumbezug, weil sie direkt vor Ort sind. Ihr bloßes territoriales Vorhandensein im Dorf genügt jedoch nicht zur Förderung einer solchen sozial-räumlichen Ordnung. Dafür ist ein auf Dörflichkeit ausgerichtetes infrastrukturelles Regime vonnöten. Man kann von einer Verdörflichung der Infrastrukturen sprechen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2014): Rückzug „vom Lande“. Die sozial-räumliche Neuordnung durch Infrastrukturen, in: Peter A. Berger, Carsten Keller, Andreas Klärner, Rainer Neef (Hrsg.): Urbane Ungleichheiten. Neue Entwicklungen zwischen Zentrum und Peripherie. Wiesbaden: Springer VS, S. 233-252
    Barlösius, Eva; Spohr, Michèle
  • (2015): Die kirchliche Praxis im Dorf. Erste Ergebnisse des DFG-Projektes „Das Verhältnis von Infrastrukturen und Dörflichkeit“, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, Jg. 63, Heft 1, S. 108-110
    Spohr, Michèle
  • (2016): Infrastrukturen: Bahnen des Wissenstransfers?, in: Julia Böttcher, Anna Froese, Dagmar Simon (Hrsg.): Sozialwissenschaften und Gesellschaft. Neue Verortungen von Wissenstransfer. Bielefeld: transcript. S. 235-262
    Barlösius, Eva
  • (2016): Wissenschaftliche Infrastrukturen: Verschiebungen der Makro-, Meso- und Mikroebene, in: Nina Baur, Cristina Besio, Grit Petschick, Maria Norkus (Hrsg.): Wissen – Organisation – Forschungspraxis. Der Makro-Meso-Mikro-Link in der Wissenschaft. Weinheim: Juventa
    Barlösius, Eva
  • (2017): Infrastrukturen im Dorf. Welche Formen von Sozialität ermöglichen sie?, in: Michael Flitner, Julia Lossau, Anna-Lisa Müller (Hrsg.): Infrastrukturen der Stadt. Wiesbaden: Springer VS, pp 229-251. 978-3-658-10423-8
    Barlösius, Eva; Spohr, Michèle
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-10424-5_12)
 
 

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