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Die Zurechnungslehre des Aristoteles im Lichte moderner Theorien moralischer Verantwortung
Antragstellerin
Professorin Dr. Béatrice Lienemann
Fachliche Zuordnung
Geschichte der Philosophie
Praktische Philosophie
Praktische Philosophie
Förderung
Förderung von 2013 bis 2014
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 237607633
Die Frage, unter welchen Bedingungen wir einer Person eine Handlung und deren Folgen zurechnen, wird seit der Antike kontrovers diskutiert. Wesentliches zur Diskussion des Themas der Zurechnung hat Aristoteles beigetragen. Ziel meines Projekts ist es, (1) die aristotelische Zurechnungslehre systematisch und theoriegeleitet zu rekonstruieren und (2) die rekonstruierte Theorie detailliert zu prüfen, indem ich sie auf verschiedene Spezial- und Grenzfälle von Handlungen und auf andere relevante Zurechnungsgegenstände, die bei Aristoteles vorkommen, anwende. Definition: Unter einer Zurechnungslehre verstehe ich eine Theorie der Bedingungen, unter denen eine Person für ihre Handlung und deren Folgen (sowie möglicherweise auch für den eigenen Charakter) moralisch verantwortlich ist. Ansatz: Zwar entwickelt Aristoteles in seinen Schriften keine explizite systematische Theorie der Zurechnung. Aber insbesondere in seinen ethischen Schriften finden sich zahlreiche Äußerungen zur Zurechnungspraxis seiner Zeit. Mein Vorhaben ist erstens, mit Hilfe der Begrifflichkeit und der Ansätze moderner Theorien über die Zuschreibung moralischer Verantwortung die bei Aristoteles nur implizit vorhandene Zurechnungslehre sichtbar zu machen. Zweitens ist der historische Hintergrund für ein besseres Verständnis der aristotelischen Position zu berücksichtigen. Viele Bemerkungen spiegeln die antike Gerichtspraxis wider, wie sie in den Gerichtsreden (z.B. bei Antiphon und Lysias) dokumentiert ist, und wiederholt greift Aristoteles auf Beispiele aus den antiken Tragödien (z.B. Sophokles: Oidipous Tyrannos) zurück. These und Ergebnisse: Die Bemerkungen, die Aristoteles zur Zurechnungspraxis (z.B. zu Lob und Tadel) macht, sind nicht nur originell, sondern erweisen sich auch für aktuelle Debatten über die Zuschreibung von Verantwortung und die Vereinbarkeit von freiem Willen und Determinismus als bereichernd, da es sich um eine Position handelt, welche menschliches Handeln und moralische Verantwortung behandelt, ohne die Annahme eines (freien) Willens einzuführen. Das Projekt verspricht einerseits in historischer Hinsicht neue Ergebnisse, da Aristoteles eine philosophische Konzeptualisierung der impliziten Zurechnungsbegriffe seiner Zeit, wie sie sich in Praxis und Diskurs zeigen, entwickelt. Andererseits findet die aristotelische Position in den modernen Debatten oft nur eine beiläufige Behandlung, wenn sie nicht gar verkürzt und irreführend zitiert wird, was umso irritierender ist, als sie viel mehr Erklärungs- und Innovationspotential birgt, als man vielleicht zunächst vermutet.
DFG-Verfahren
Forschungsstipendien
Internationaler Bezug
USA
Gastgeber
Professor Hendrik Lorenz