Geteilte Klangwelt. Die Komponistengruppe der Moskauer Trojka zwischen transnationalem Erfolg und kulturpolitischem Wandel im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts
Musikwissenschaften
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Alfred Schnittke, Sofia Gubaidulina und Edison Denisov waren in den 1990er Jahren international bekannte und transnational vernetzte Komponisten. Aus einer kleinen Moskauer Komponistengruppe heraus entwickelten sich seit den 1960er Jahren eigenständige Künstlerbiographien, die nur zu verstehen sind, wenn die Sowjetunion als Teil eines globalen Kommunikationsraums verstanden wird. Mit diesem Ansatz untersuchte das Projekt „Geteilte Klangwelten“ drei Themenkomplexe. Erstens fragte das Projekt nach künstlerischen (und hier besonders musikalischen) Handlungsräumen in der Ära Brežnev. Sowjetische Kulturpolitik und westliches Verlegerinteresse stellten vielfältige außermusikalische Anforderungen an Komponisten, denen sie nicht selten durch Abwehr und ein Beharren auf künstlerische Autonomie begegneten. Im Ringen zwischen Komponisten, dem Komponistenverband und den Kulturorganen der Kommunistischen Partei stellte sich dabei ein verhältnismäßig stabiler Zustand ein, in dem wechselseitige Erwartungen und Konfrontationsbereitschaft schon vor einer eigentlichen Auseinandersetzung bekannt waren. Dennoch überraschte gerade die Partei immer wieder durch überfallartige Kampagnen und Direktiven; Komponisten konnten sich ihres Status und ihrer künstlerischen Freiheiten nie gänzlich sicher sein. Zweitens zeigte sich bei der Arbeit am Projekt, wie wichtig Musik selbst als historische Quelle sein kann. In den Werken der „Moskauer Trojka“ wurden nicht nur musikästhetische Probleme wie die Zwölftonmusik verhandelt, sondern sie leistete mit ihren unterschiedlichen Zitaten, Kompositionsstilen und –ebenen einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Ausdeutung der Moderne in ihrer sowjetischen Form: Krieg, Umweltprobleme und die Pluralisierung von Lebensentwürfen wurden allesamt auch durch Musik inszeniert und gedeutet. Über die Analyse der Musik selbst hinaus ging drittens die Konzeption von Musikgeschichte als Gesellschaftsgeschichte. Die komplexen Prozesse von Musikproduktion und Musikrezeption in Ost und West verweisen auf die gesellschaftliche Gebundenheit von Klängen und erlauben, die Aufführungsgeschichte eines Werkes auch als Fallbeispiel heranzuziehen. So konnten aufschlussreiche Schlüsse über Vergemeinschaftungsprozesse in der Ära Brežnev abseits des politischen Raumes gezogen werden, die sich als weit komplexer und vielseitiger darstellten, als ursprünglich angenommen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Einführung: Ein goldenes Zeitalter der Stagnation? Neue Perspektiven auf die Brežnev-Ära, in: dies., Goldenes Zeitalter der Stagnation? Perspektiven auf die sowjetische Ordnung der Breznev-Ära. Tübingen 2014. S. 1–37
Belge, Boris; Deuerlein, Martin
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Von der Stagnation zur Perestrojka. Der Wandel der Bedrohungskommunikation und das Ende der Sowjetunion, in: Boris Belge / Martin Deuerlein (Hg.): Goldenes Zeitalter der Stagnation? Perspektiven auf die sowjetische Ordnung der Brežnev-Ära, Tübingen 2014, S. 253–311
Gestwa, Klaus
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Eine „wahnsinnige Chronik des 20. Jahrhunderts.“ Alfred Schnittkes 1. Symphonie als Schlüsselwerk der sowjetischen Musikgeschichte, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 12 (2015), S. 170–175
Belge, Boris
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Der sowjetische Komponistenverband, der Sozialistische Realismus und das fragile Gleichgewicht der musikalischen Welt in der Brežnev-Zeit, in: Die Tonkunst, 2016 Heft 2, S. 123–129
Belge, Boris
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Von der Perestroika zur Katastroika. Michail Gorbatschow und der Zerfall der Sowjetunion Teil 1: Der ökonomische Kollaps, in: Einsichten und Perspektiven 1/16 (2016), S. 22-33
Klaus Gestwa
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Von der Perestroika zur Katastroika. Michail Gorbatschow und der Zerfall der Sowjetunion Teil 2: Die politische Selbstauflösung, in: Einsichten und Perspektiven 2/16 (2016), S. 4-25
Klaus Gestwa