Neuartige Charakterisierung von massiven Einkristallen (Metalle, Halbleiter, intermetallische Verbindungen, organische Kristalle, Ionenkristalle) mittels kombinierten Einsatzes der Röntgenschattenmikroskopie und der Pseudo-KOSSEL-Durchstrahltechnik mit harter Röntgenstrahlung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Folgenden sollen die Ergebnisse des Projektes „Zerstörungsfreie Charakterisierung der Güte von massiven Einkristallen mittels neuer, vergrößerter Abbildung radiographischer und kristallographischer Informationen gleichzeitig in einer Röntgenaufnahme“ zusammengefasst dargestellt werden. Das im Rahmen dieses Projektes untersuchte neue Röntgenbremsstrahlungsinterferenzverfahren mit kombinierter Schattenbildmikroskopie kann zur Untersuchung von realen einkristallinen bzw. grobkristallinen Proben und Bauteilen sowie zur Qualitätsbeurteilung von gezüchteten Einkristallen genutzt werden. Die entstehenden Aufnahmen stellen dabei gleichzeitig das Beugungsmuster und eventuell vorhandene Defekte, wie z.B. größere Hohlräume oder Einschlüsse, dar. In den bisherigen Arbeiten zu diesem Thema wurden wesentliche Einflüsse auf das Beugungsmuster festgestellt und untersucht. Im Rahmen einer Literatur- und Patentrecherche konnte festgestellt werden, dass bisher kein zerstörungsfrei arbeitendes System bekannt ist, welches eine vergrößerte radiographische Schattenabbildung (Defektstruktur) und die Registrierung einer Information aus der Bremsstrahlungsbeugung (kristallographische Parameter) gleichzeitig in einer Aufnahme nutzt. Das neue diagnostische Verfahren zeichnet sich im Wesentlichen dadurch aus, dass mittels Bremsstrahlung zeitgleich kristallographische und radiographische Volumeninformationen massiver einkristalliner oder grobkristalliner Proben und Bauteile ohne Änderung der Proben- und Detektorposition und ohne Änderung der Belichtungsparameter in einer Aufnahme abgebildet werden. Die dazu notwendige Versuchsanordnung ermöglicht eine schnelle Untersuchung der Güte kompakter Kristallkörper mit großen Abmessungen an Luft. Es wurde gezeigt, dass die entstehenden Interferenzen durch Wellenlängen der harten Röntgenbremsstrahlung erzeugt werden, die im Wellenlängenbereich Δλ≈ 1,0 bis 1,3λmin des kontinuierlichen Röntgenspektrums liegen. Durch die Untersuchungen konnte eindeutig ausgeschlossen werden, dass die beobachteten Interferenzen durch charakteristische Strahlung entstehen. Weiterhin wurde aufgrund der untersuchten Probendicken ausgeschlossen, dass die Beugungsreflexe KIKUCHI-Pseudo-Interferenzen von angeregten Fotoelektronen [Meu90] oder Weitwinkeldurchstrahl-Interferenzen von charakteristischer Fluoreszenzstrahlung sind, da diese Proben mit einer Dicke von mehreren Millimetern oder Zentimetern nicht durchdringen bzw. weil Fotoelektronen durch Luft nicht übertragen werden können. In Modellversuchen wurde gezeigt, dass sowohl nebeneinander liegende Kristallite (Silber-Bikristall) als auch nacheinander angeordnete Einkristalle (Kupfer, Aluminium) Bremsstrahlungsinterferenzen aller Teilvolumina erzeugen. Die Abbildung mehrerer Reflexsysteme in einer Aufnahme gelang auch an realen grobkörnigen Proben, wenn die Korngröße hinreichend groß war. Es wurde beobachtet, dass Bremsstrahlungsinterferenzen erst ab einer Mindestprobendicke auftreten. Eine Begrenzung hinsichtlich einer maximalen Probendicke konnte dagegen bisher nicht beobachtet werden. Limitierend war bisher nur die maximal erzeugbare Beschleunigungsspannung der Röntgenröhre. Dies ist ein Hinweis dafür, dass die Bremsstrahlungsinterferenzen bei Wellenlängen mit anomaler Absorption auftreten. Eine Beschränkung des untersuchbaren Substanzbereiches war ebenfalls nicht feststellbar. Prinzipiell können mit dem kombinierten Verfahren makroskopische Defekte, wie Risse, Poren und Einschlüsse im Submillimeterbereich detektiert werden. Gleichzeitig liefert das Verfahren Informationen zur kristallographischen Defektstruktur. So können Groß- und Kleinwinkelkorngrenzen, relative Unterschiede der Versetzungsdichte und lokale Störungen einzelner Netzebenenscharen detektiert werden. Durch die Gleichzeitigkeit der Abbildung kann die Ausbildung der Kristallstruktur in der Nähe der makroskopischen Defekte sichtbar gemacht werden. Die Theorie der röntgenographischen Schattenmikroskopie ist hinreichend bekannt. Auf der Grundlage der ausgewerteten Aufnahmen wurden Erklärungsansätze zur Beugung von harter Röntgenbremsstrahlung in massiven Einkristallen, die alle wichtigen Phänomene erklärt, erarbeitet. Diese Erklärungsansätze bedürfen aber noch der Verifizierung durch eine neue, höher auflösende Anlagentechnik. Das neuentwickelte diagnostische Verfahren zeigte seine Leistungsfähigkeit eindrucksvoll insbesondere in den ersten Anwendungsuntersuchungen zur Güte einer einkristallinen Turbinenschaufel und bei Silizium-Kristallen für die Mikroelektronik und Solarzellenherstellung. Im Rahmen des Projektes wurden erstmalig Beugungsphänomene entdeckt (z.B. Reflexfächer parallel zu Primärreflexen), die vermutlich unbekannte Effekte der dynamischen Interferenztheorie sind. Von einer Modellprobe mit definierten makroskopischen Fehlern wurden Testaufnahmen mit verschiedenen Einstrahlwinkeln angefertigt. Auf einigen dieser Aufnahmen sind stark verzerrte, verbreiterte und nebelartig aufgefächerte Beugungsreflexe zu sehen, die auf den zweidimensionalen Aufnahmen nicht sichtbar sind. Diese Aufnahmen lassen die Notwendigkeit erkennen, das Verfahren grundlegend weiter zu entwickeln, um eine dreidimensionale Darstellung des untersuchten Probenvolumens inklusive des Reflexsystems zu erhalten. Auf diese Weise sollen die neuen Beugungseffekte detaillierter untersucht werden. Ein weiterer wissenschaftlicher Ansatzpunkt eines dreidimensionalen Verfahrens ist die Untersuchung, ob und wie sich die Koordinaten der makroskopischen Defekte im räumlichen Reflexsystem widerspiegeln, d.h. ob die Koordinaten der makroskopischen Defekte mit den Koordinaten der Beugungsvolumina definierter Reflexe übereinstimmen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Spezielle Methoden der Mikrobeugung - Prinzip, Detektion, Auswertung, Anwendung. Einladungsvortrag, Kolloqium, IHP Frankfurt/Oder,09.06.2006
Böhling, M.; Bauch, J.
- Precise determination of residual stresses in FeSi3 electrical sheets in the vicinity of laser scratches with high lateral resolution. Cryst. Res. Technol. 42, No. 9, 905 – 913 (2007)
Böhling, M.; Bauch, J.
- The KOSSEL, X-Ray Rotation-Tilt, and EBSD Techniques - Applications in Functional Materials Poster, Euromat 2007, Nürnberg, 10.-13.09.2007
Bauch, J. und Böhling, M., Lupascu, D.C.
- Vergleichende Mikrobereichsanalytik an Funktionswerkstoffen. Poster, 14. Tagung Festkörperanalytik, TU Wien, 16.-18.07. 2007
Bauch, J. und Böhling, M.
- Verfahren und Vorrichtung zur Registrierung von Realstruktur-Informationen in massiven Kristallkörpern mittels Röntgenstrahlung. Patent, DE 102008008829
Bauch, J.; Böhling, M.; Lupascu, D.C.; Ullrich, H.-J.
- Effect of the cutting technique of the residual stress distributions of cut edges in FeSi3 transformer sheets. Cryst. Res. Technol. 44(2009)11, p. 1185-1191
Böhling, M.; Bauch, J.; Ullrich, H.-J.
- Realstrukturanalytik mittels kombiniertem Einsatzes der Röntgenschattenmikroskopie und der Erzeugung von Bremsstrahlungsinterferenzen mit harter Röntgenstrahlung in Durchstrahlung Poster 15. Tagung Festkörperanalytik, Chemnitz 12.-16.07.2009
Bauch, J., Wünsche, D., Henschel, F. und H.-J. Ullrich
- Verfahren und Einrichtung zur dreidimensional ortsaufgelösten, bildhaften Darstellung von Informationen zur kristallographischen Realstruktur und makroskopischen Defektstruktur in massiven Kristallkörpern Patentanmeldung, Aktenz. 10 2009 033 190.5, Anmeldetag: 09.07.2009
Bauch, J.; Henschel, F.; Wünsche, D.; Ulrich, H.-J.