Detailseite
Innovation durch Tradition? Jüdische Bildungsmedien als Zugang zum Wandel kultureller Ordnungen während der 'Sattelzeit'
Antragstellerin
Professorin Dr. Simone Lässig
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung
Förderung von 2013 bis 2016
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 244602335
Vor dem Hintergrund der allgemeinen Erosion tradierter Handlungsorientierungen und Wissenssysteme im 18. und 19. Jhd. untersucht das seit 18 Monaten laufende und insgesamt auf fünf Jahre angelegte Projekt die Transformation kultureller Ordnungen am Beispiel der mitteleuropäischen Judenheiten. Analysiert wird, wie neu- bzw. fremdartige Wissensbestände, Normen und Praktiken in ehedem fest gefügte jüdische Lebenswelten übersetzt wurden, wie sich neue Muster der Wahrnehmung und Aneignung einer sich rasant verändernden Welt ausformten und welche Bedeutung dabei dem Bezug auf religiöses Wissen und genuin jüdische Traditionen, Symbole oder Semantiken zukam. Mit Bildung und Bildungsmedien - vorrangig denjenigen der jüdischen Erneuerungsbewegungen der Moderne - fokussiert das deutsch-israelische Projekt auf eine Schnittstelle von Politik und Kultur, Staat, Gemeinde und Individuum, der für Prozesse von Mentalitätswandel und Habitusformierung spezifische Bedeutung zukommt. Ein weites, den Spezifika der Sattelzeit gerecht werdendes Verständnis von 'Bildungsmedien' eröffnet die Chance, das Schulbuch als relativ neuartiges Medium in den Blick zu nehmen, ohne jene Medien zu vernachlässigen, die - wie Predigten oder Gesang-, Gebets- und Andachtsbücher - vorwiegend in Lern- und Wissensräumen jenseits der Schule erziehend, belehrend und bildend wirken sollten. Ideen- und gattungsgeschichtlich sind diese Medien ansatzweise erforscht; hier aber werden sie erstmals systematisch auf die Entwicklung und Legitimierung von (neuen) Wissenssystemen, kulturellen Codes und sozialen Praktiken befragt: Analysiert wird, inwieweit unterschiedliche Bildungsmedien und deren Autoren, teilweise auch deren Nutzer, Sinn und (neue) Wirklichkeit zu schaffen versuchten, wie sie Bewältigungsstrategien und Zukunftsvorstellungen mit Alltags- oder Vergangenheitserfahrungen verknüpften und wie sich dies in lebensweltlichen Abwehr-, Übersetzungs-, und Aneignungsprozessen gespiegelt hat. Die für die zweite Projektphase angestrebte Erweiterung der Perspektive auf das englischsprachige Judentum einerseits und das zaristische Russland andererseits gestattet einen vergleichenden Blick auf ähnliche Prozesse in unterschiedlichen kulturellen Kontexten. Das Konzept der kulturellen Übersetzung hat sich als Kategorie und Gegenstand der Analyse für das gesamte Vorhaben bewährt. In allen Teilprojekten zeichnet sich ab, dass (Be-)Deutungen in Bildungsmedien nicht linear übertragen und rezipiert, sondern ausgehandelt und übersetzt worden sind. Mit diesem Ansatz und der Konzentration auf eine soziale Gruppe, die - wie die Juden der Sattelzeit - als höchst wandlungsresistent galt, verspricht das Projekt vertiefte und ggf. über die jüdische Geschichte hinaus relevante Einsichten zu kulturellen Übersetzungen und Anpassungsleistungen im Spannungsfeld von Traditionsbezug und Zukunftshandeln und damit zur Auflösung und (Neu-)Formierung sozialer und kultureller Ordnungen.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
Internationaler Bezug
Israel
Mitverantwortlich
Dr. Dirk Sadowski
ausländ. Mitantragstellerin
Professorin Dr. Zohar Shavit