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Gesprochener Standard. Linguistische Untersuchungen zum gesprochenen Deutsch mit Blick auf die Sprachdidaktik

Fachliche Zuordnung Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft, Experimentelle Linguistik, Typologie, Außereuropäische Sprachen
Förderung Förderung von 2013 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 244620710
 
Erstellungsjahr 2018

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Im Projekt wurde ein gebrauchsbasierter Standardbegriff entwickelt, der Varianz, Domänenspezifik und Medialität der Mündlichkeit angemessen berücksichtigt. Es hat sich unsere Hypothese bestätigt, dass ein De-facto-Standard der gesprochenen Sprache (re-)konstruierbar ist, an dem sich Sprecherinnen und Sprecher implizit orientieren, der aber vom kodifizierten Standard signifikant abweicht. Die Ergebnisse unseres Projekts sind vor allem in einer Projektmonographie (Schneider / Butterworth / Hahn 2018) dokumentiert, die beim Stauffenburg Verlag publiziert wurde. Unser Untersuchungskorpus setzte sich aus überregionalen Abend-Talkshows sowie aus Unterrichtsgesprächen der gymnasialen Ober- und Unterstufe zusammen. Die Talkshow-Daten erwiesen sich wie erwartet als geeignete empirische Basis für die grammatischen Analysen zu gesprochensprachlichen Konstruktionen. In einem bottom-up- und top-down-Verfahren haben wir die spezifischen Kriterien für eine syntaktische Konstruktion des gesprochenen Standards verfeinert und unsere heuristische Phänomenliste, die sich u.a. am Gesprochene-Sprache-Kapitel der Duden- Grammatik orientierte, im Laufe des Projekts weiterentwickelt und ergänzt. Jedem einzelnen Konstruktionstyp ist ein eigenes Kapitel unserer Monographie gewidmet. Als Hauptaufgabe stellte sich immer mehr heraus, jeweils eine Grenze zwischen einer Konstruktion und einer Ad-hoc- Bildung zu ziehen. Desweiteren erwiesen sich die Kategorien als sehr variabel, sodass Übergänge und Mischungen zwischen ihnen beschrieben werden mussten. Dies ist eine logische Konsequenz aus einer dynamischen Syntax-Konzeption, die die Medialität gesprochener Sprache (insbesondere ihre Zeitlichkeit und Interaktionalität) durchgängig berücksichtigt. Das Unterrichtskorpus eröffnete uns eine weitere, gesprächsanalytische Untersuchungsperspektive. Es zeigte sich wie erwartet, dass dort mehr explizite Fremdkorrekturen erfolgten als beim Talkshowkorpus, Fremdkorrekturen jedoch insgesamt selten sind. Auch rein sprachliche Selbstkorrekturen waren in unserem Gesamtkorpus seltener als ursprünglich von uns erwartet. Durch detaillierte Gesprächsanalysen prägnanter Beispiele konnten wir aber zeigen, dass sich in der kommunikativen Bearbeitung bestimmter Konstruktionen eine implizite Norm- und Standardorientierung zeigt. Die Selbstkorrekturen offenbarten zum Teil ein ausgeprägtes written language bias (z.B. Selbstkorrekturen von weil mit Verbzweitstellung oder von wegen mit Dativ-Rektion). Explizite Fremdkorrekturen durch Lehrpersonen werden, wenn sie überhaupt auftreten, durch funktionales Code-shifting, Ironie und auch Gelächter gerahmt. Wurde eine Konstruktion kommunikativ nie bearbeitet und kam gleichzeitig im Gesamtkorpus frequent vor, so war sie für uns ein klarer Kandidat für gesprochenen Gebrauchsstandard. In ihrer Verwendung zeigt sich ein implizites Wissen über subsistente Normen, das es rechtfertigt, von einem spezifisch gesprochensprachlichen Standard zu reden. Um die gewonnenen Kandidaten abzusichern, haben wir zusätzlich eine Online-Umfrage zur Wahrnehmung gesprochensprachlicher Konstruktionen deutschlandweit durchgeführt, die ebenfalls in der Projektmonographie ausführlich dargestellt wird. Die Ergebnisse dieser Umfrage lassen sich als ein Gradmesser für das written language bias interpretieren. Konstruktionstypen, die im Korpus frequent sind, in der Interaktion nicht kommunikativ bearbeitet und in der Online- Umfrage positiv bewertet wurden, können als unproblematische Fälle eines mündlichen Gebrauchsstandards angesehen werden. Die Ergebnisse unseres Projekts machen deutlich, wie wichtig es ist, schon in der Lehrerbildung syntaktische Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache zu thematisieren. Im Gegensatz zum Gesprochene-Sprache-Kapitel der Duden-Grammatik werden Konstruktionen in unserem Projekt konsequent in Hinblick auf ihre Standardsprachlichkeit, d.h. ihre überregionale Unauffälligkeit in formelleren Situationen beschrieben. In grammatiktheoretischer Hinsicht zeigt gerade die empirische Beschäftigung mit gesprochener Sprache, dass ein dynamischer Syntaxbegriff der kommunikativen Wirklichkeit weit eher entspricht als ein starres Konzept vom Sprachsystem. Dennoch steht auch eine performanzorientierte Linguistik immer vor der Aufgabe, Schemabildung systematisch zu konzeptualisieren.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Podiumsdiskussion zum Thema "Gesprochene- Sprache-Forschung und Sprachdidaktik" in Landau. In: Sprachreport 2/2014, 28-35
    Albert, Georg / Jan Georg Schneider
  • (2015): Erwartungen an die sprachliche Norm. Was in einem Online-Diskussionsforum als gute Ausdrucksweise „durchgeht“. In: Aptum 11(2), 161-169.
    Albert, Georg / Hahn, Nadine
  • (2015): Gesprochenes Standarddeutsch und DaF. Begriffe - Empirie - didaktische Implikationen. In: Wolfgang Imo / Sandro Moraldo (Hgg.): Interaktionale Sprache und ihre Didaktisierung im DaF-Unterrricht. Tübingen: Stauffenburg (= Reihe Deutschdidaktik 4), 45-65.
    Schneider, Jan Georg
  • (2016): Diskutieren vor Publikum. In: Jianhua Zhu / Jin Zhao / Michael Szurawitzki (Hgg.): Germanistik zwischen Tradition und Innovation. Akten des XIII. Internationalen Germanistenkongresses, Shanghai 2015. Bd. 3. Frankfurt a.M.: Lang (= Publikationen der Internationalen Vereinigung für Germanistik 22), 149-153
    Albert, Georg
  • (2016): Syntax der gesprochenen Sprache und Kodifizierung. In: Wolf Peter Klein / Sven Staffeldt (Hgg.): Die Kodifizierung der Sprache. Strukturen, Funktionen, Konsequenzen. Würzburg (= WespA: Würzburger elektronische sprachwissenschaftliche Arbeiten 17), 272-284
    Schneider, Jan Georg
  • (2017): Medien als Verfahren der Zeichenprozessierung. Grundsätzliche Überlegungen zum Medienbegriff und ihre Relevanz für die Gesprächsforschung. In: Gesprächsforschung – Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 18 (2017), 34-55
    Schneider, Jan Georg
  • (2017): Sagen, Meinen, Denken, …? Zu Gebrauch und Vermittlung von Verba dicendi und sentiendi beim mündlichen Diskutieren. In: Katharina Kuhs / Stephan Merten (Hgg.): Arbeiten am Wortschatz – Sprechen und Zuhören. Trier: WVT, 37-53
    Albert, Georg
  • (2018): Gesprochener Standard in syntaktischer Perspektive. Theoretische Grundlagen – Empirie – didaktische Konsequenzen. Tübingen. Stauffenburg (= Stauffenburg Linguistik 99)
    Schneider, Jan Georg / Judith Butterworth / Nadine Hahn
  • (2018): Mündlicher Sprachgebrauch zwischen Normorientierung und pragmatischen Spielräumen. Tübingen: Stauffenburg (= Stauffenburg Linguistik 101)
    Albert, Georg / Diao-Klaeger, Sabine (Hgg.)
 
 

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