Ko-Konstruktion von literarischen Bildungsvorstellungen im Verlauf der gymnasialen Oberstufe
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die empirische Untersuchung ging mit literaturdidaktischem und bildungssoziologischem Interesse und einem qualitativen Design der Fragestellung nach, wie es zur Entstehung und Festigung von Vorstellungen und Werthaltungen (Deutungsmustern) über Literatur bei Schüler/innen am Ende der Sek. II kommt. Dabei gingen wir von der Annahme aus, dass der schulische Unterricht im Fach Deutsch in Leistungs- und Schwerpunktkursen einen großen Einfluss auf das Zustandekommen solcher Werthaltungen über Literatur hat. So bezieht sich die Studie auf die Frage, wie Bildungsvorstellungen (verstanden als Deutungsmuster und Wertvorstellungen literarischer Bildung von Schüler/innen und Lehrer/innen) wechselseitig im Sinne von Bestätigung, Ablehnung oder Variation konstruiert werden. Hierbei wird von einer Ko- Konstruktion im Rahmen des Unterrichtshandelns als einer interaktionstheoretischen Maßgabe ausgegangen. In methodischer Hinsicht wurden in 30 videographierten Unterrichtssequenzen die Aushandlungsprozesse und die Unterrichtskommunikation in Leistungs-/ Schwerpunktkursen der Sek. II beobachtet. Die literarischen Deutungsmuster der beteiligten 42 Schüler/innen und sieben Lehrer/innen wurden zu Beginn des Deutsch-Leistungskurses mittels narrativer Interviews erhoben. Um herauszufinden, ob sich die literarischen Deutungmuster der Schüler/innen im Laufe des Kurses verändert haben, wurden die narrativen Interviews zum Ende des zweijährigen Leistungskurses wiederholt. Einige flankierende Ergänzungsstudien verifizieren die gewonnenen Eindrücke. Die Ergebnisdarstellung erfolgt dem qualitativen Charakter der Studie gemäß in Thesenform: 1. Gruppenthese: Gymnasiale Leistungskurse sind hinsichtlich des Aushandelns von Deutungsmustern vorrangig als soziale Gruppen zu definieren (soziale Dimension). 2. Aushandlungsthese: Die soziale Gruppe „Leistungskurs Deutsch“ konstituiert und erhält sich in Aushandlungsprozessen. Gegenstand dieser Aushandlungsprozesse ist vor allem die symbolische Dimension von Literatur. 3. Deutungsmusterthese: Im Aushandlungsprozess bilden die Deutungsmuster der Lehrpersonen den Orientierungsrahmen. Sie strukturieren und bestimmen das konkrete Unterrichtsgeschehen. Die Schüler/innen positionieren sich zu ihnen affirmativ und übernehmen sie auf einer expliziten Ebene. 4. Passungsthese: Lehrer/innen, die Literatur als Lernmedium im beruflichen Kontext betrachten und eine Trennung zwischen Privat- und Schullektüre vollziehen, veranlassen viele der Schüler/innen zur Übernahme dieses Deutungsmusters, die keine oder lernorientierte Vorstellungen über Literatur haben. Bei Lehrer/innen hingegen, die Literatur vorrangig im Sinne der Persönlichkeitsbildung wahrnehmen und bei denen zwischen privater und schulischer Lektüre ein Kontinuum besteht, ist die Anähnelung der Deutungsmuster bei dem größten Teil der Schüler/innen zu verzeichnen; ferner entwickeln sich die Deutungsmuster der Schüler/innen oft insofern, als dass diese Literatur als wichtigen Teil ihres Lebens erkennen. 5. Ko-Konstruktionsthese: In konsensorientierten Kursen mit hoher Passung dominieren die Deutungsmuster „Literatur als Lernmedium“ und „Literatur als Medium formaler Bildung“. Die Lehrperson agiert teils hierarchieverstärkend. In dissensorientierten Kursen mit wenig Passung werden Wir-Identitäten in Aushandlungsprozessen über die symbolische Dimension von Literatur erzeugt. Hier findet Ko-Konstruktion statt, indem verschiedene Deutungsmuster aufeinanderstoßen (irritierender Diskurs), ohne dabei die Gruppenidentität zu beeinträchtigen. 6. Pragmatismusthese: Die Dominanz der institutionellen Dimension von Schule im Unterricht erzeugt hohen Konformitätsdruck und forciert Konsensbildung, denn Lehrer/innen und Schüler/innen haben hier größtenteils angeglichene Deutungsmuster (bestätigender Diskurs) und das gleiche Feindbild (Vorgaben). Hier sind Ko- Konstruktionen im Sinne von Aushandlungsprozessen kaum auszumachen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Aushandlungsprozesse über literaturbezogene Werte im Literaturunterricht der Oberstufe. Anlage und erste Ergebnisse einer Studie. In: Neuhaus, Stefan / Schaffers, Uta (Hrsg.): Was wir lesen sollen. Kanon und literarische Wertung im 21. Jahrhundert. Würzburg: Königshausen & Neumann 2016, S. 301-320
Christian Dawidowski
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Einstellungsdispositionen von Lehramtsstudierenden der Germanistik gegenüber Literatur und Literaturunterricht. Ergebnisse einer Fragebogenstudie, in: MdDG, H.2/2016, S. 187-208
Christian Dawidowski, Anna R. Hoffmann
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Funktionen des literarischen Lesens zwischen Abitur und Studium. In: Journal of Literary Theory 2/2016, Vol. 10, S. 199-220
Christian Dawidowski
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Ko-Konstruktion literarischer Bildungsvorstellungen in der gymnasialen Oberstufe. In: Die Ansprüche der Literatur als Herausforderung für den Literaturunterricht. Theoretische Perspektiven der Literaturdidaktik, hgg. v. N. Mitterer / H. Nagy / W. Wintersteiner, Frankfurt a.M.: Lang 2016 (Beiträge zur Literatur- und Mediendidaktik 34), S. 85-110
Christian Dawidowski, A. Hoffmann
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Literarizität und literarische Bildung im Literaturunterricht. Eine empirische Annäherung, in: J. Brüggemann, M. Dehrmann, J. Standke (Hgg.): Literarizität. Herausforderungen für Literaturdidaktik und Literaturwissenschaft, Baltmannsweiler: Schneider 2016, S. 155-168
Christian Dawidowski
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Deutungsmuster von Lehrpersonen im Literaturunterricht der Oberstufe. Eine qualitative Studie. Frankfurt a.M. 2017
Angelika Stolle
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Ko-Konstruktion literarischer Bildungsvorstellungen. Eine empirische Studie zum Literaturunterricht in der Sekundarstufe II. Frankfurt a.M. 2019
Christian Dawidowski / Anna R. Hoffmann / Angelika R. Stolle
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Webbasierte Leseförderung in der Grundschule am Beispiel von Antolin. Eine empirische Studie zur Lesesozialisationsforschung, Frankfurt a.M. 2019
Carolin Meier