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Zeitgenössisches politisches Denken in Deutschland

Antragstellerin Professorin Dr. Tine Stein
Fachliche Zuordnung Politikwissenschaft
Förderung Förderung von 2013 bis 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 245510034
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Forschungsprojekt ist von der Beobachtung ausgegangen, dass sich viele in Deutschland breit rezipierte Beiträge politischen Denkens nicht mehr eindeutig in das Quartett der tradierten politischen Ideologien (Konservatismus, Liberalismus, Sozialdemokratie/Sozialismus sowie grünes politisches Denken) einordnen lassen. Dieses Phänomen sollte hier untersucht und der systematisch tiefergehenden Frage nachgegangen werden, ob die Sortierung nach vier Grundströmungen, wie sie sich in Deutschland für das politische Denken entwickelt hat, noch überzeugend ist. Um die Frage nach den Verbindungslinien zwischen politischem Denken und Ideologien beantworten zu können, ist erstens der Begriff des politischen Denkens konzeptionell weiterentwickelt worden. Die begriffliche Konzeption ist zunächst in Auseinandersetzung mit den Überlegungen Henning Ottmanns (2001ff) und Michael Th. Grevens (2007), im weiteren Verlauf auch mit den im deutschsprachigen Raum bisher wenig rezipierten einschlägigen Beiträgen Michael Freedens (1996ff) erfolgt. Zweitens ist eine umfassende empirische Bestandsaufnahme des zeitgenössischen politischen Denkens in Deutschland vorgenommen worden (insgesamt 2.200 Titel). Es sind die in dem Zeitraum zwischen Epochenjahr 1989 bis Mai 2015 erschienenen Beiträge politischen Denkens erfasst worden, die eine gewisse Aufmerksamkeitsschwelle überschritten haben und dadurch politisch relevant geworden sind. Drittens sollten die ideengeschichtlichen Entwicklungen der Ideologien im Lichte der zeitgenössischen Beiträge fortgeschrieben werden. Als wichtiges Ergebnis der Studie ist der im Projekt entwickelte Begriff des politischen Denkens zu nennen. Politisches Denken spiegelt sich in Auseinandersetzung mit der Diskussion um political thought / political thinking und dem thinking about politics in zwei Dimensionen wider: erstens umfasst der Begriff ein reflektiertes Nachdenken über Politik, das als eine essentielle menschliche Fähigkeit verstanden wird. Um einen Beitrag als politisches Denken zu klassifizieren, muss er eine substantielle Argumentation aufweisen, aber sich nicht zwingend durch ein solches Abstraktionsniveau auszeichnen, wie es für die akademische Disziplin der Politischen Theorie notwendig ist. Politisches Denken entwickelt sich stets vor dem Hintergrund konkreter Phänomene, die als Herausforderungen und Probleme verstanden werden. Entsprechend zeichnet sich politisches Denken zweitens als ein problemorientiertes, beratendes und appellierendes Denken für die politische Praxis aus, das auch ‚unkonventionell‘ sein kann und in diesem Fall utopische oder dystopische Züge trägt. Als weiteres Ergebnis des Forschungsprojektes ist im Rahmen einer Datenbank aller erfassten Beiträge politischen Denkens eine Kategorisierung erarbeitet worden, die eine umfassende und systematisch geordnete Bestandsaufnahme darstellt, anhand der abgelesen werden kann, welche Themen in der interessierten deutschen politischen Öffentlichkeit im Untersuchungszeitraum diskutiert wurden. Insgesamt neun Kategorien, von denen einige noch in weitere Unterkategorien differenziert wurden, konnten identifiziert werden: Die Verfassung des Staates; Europäische Institutionen und die europäische Wertegemeinschaft; Weltordnung im Konflikt; Das ökologische Zeitalter; die Digitale Revolution; das Private ist politisch 2.0; Deutsche Identität; Religion und Politik sowie Ideenströme ‚weitergedacht‘. Neben bibliographischen Angaben enthält die Datenbank weitere Informationen wie Klappentexte und Rezensionen und wird der weiteren Forschung zur Verfügung gestellt. Als drittes Ergebnis ist die Fortschreibung der Ideologien hervorzuheben, die vorrangig anhand der neunten Kategorie (Ideenströme ‚weitergedacht‘) sowie anhand von exemplarisch ausgewählten Kategorien unternommen wurde, deren Inhalte als spezifische Herausforderungen für die jeweilige Ideologie gelten. So konnte über die tiefergehende Auswertung der Kategorie Verfassung des Staates eine sich seit den 1970er Jahren abzeichnende Entzweiung in einen moderaten und einen radikalen Konservatismus konstatiert werden, die sich aufgrund divergierender Positionen zum liberal und demokratischen verfassten Rechtsstaat vollzieht. Dieser bisher nur für eine Ideologie genauer erhobene Befund gilt es, in weiterer Forschung zu vertiefen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Neue politische Engagementformen. Bürgerinnen und Bürger als civil entrepreneurs für die Transformation, in: Maria Grewe / Markus Tauscheck (Hrsg.): Knappheit, Mangel, Überfluss. Kulturwissenschaftliche Positionen zum Umgang mit begrenzten Ressourcen, Frankfurt a.M. 2015, S. 103 – 122
    Tine Stein
  • Endliche Welt und offene Zukunft. Zum ökologischen politischen Denken der siebziger und achtziger Jahre, in: Dies. / Anja Franke-Schwenk / Andreas Bihrer (Hrsg.): Endlichkeit. Zur Vergänglichkeit und Begrenztheit von Mensch, Natur und Gesellschaft, Bielefeld 2016, S. 199 – 219
    Tine Stein
  • Sprache und Ideologie des Konservatismus. Zur Differenz vom moderaten und radikalen konservativen politischen Denken in der Bundesrepublik Deutschland, in: Sebastian Liebold/Frank Schale (Hrsg.): Neugründung auf alten Werten? Konservative Intellektuelle u
    Tobias Bartels
    (Siehe online unter https://dx.doi.org/10.5771/9783845274874-208)
 
 

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