Innerstaatliches Land Grabbing im Jatropha-Anbau in Indien: Akteure, Prozesse und Auswirkungen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt verknüpfte quantitative und qualitative Befragungen mit kritischer Diskursanalyse, um (innerstaatliche) Land Grabbing-Prozesse für den Jatropha-Anbau in Indien im Kontext der generellen Land Grabbing-Debatte zu untersuchen. Konzeptionell nahm das Forschungsvorhaben dabei die theoretischen Ansätze der Globalen Produktionsnetzwerke und der kritischen Diskursanalyse als Ausgangspunkte, um Aktionen und Motivationen von Akteuren innerhalb des indischen Produktionsnetzwerkes von Jatropha zu situieren und zu analysieren. Übergeordnetes Forschungsziel war, die Auswirkungen der Gleichzeitigkeit im Aufkommen beider ‚Hypes‘ im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs – dem zu Land Grabbing/großflächigen Landinvestitionen einerseits und dem zu Biokraftstoffen/Bioökonomie andererseits – auf Land Grabbing-Prozesse an sich zu untersuchen. Der Fokus lag dabei auf unternehmerischen Akteuren als potentiellen ‚Land Grabbern‘, die in entsprechenden Studien zum Land Grabbing-Phänomen bisher stark unterrepräsentiert sind. Im Laufe der Arbeiten entwickelte sich ein weiterer Schwerpunkt, welcher im Hinblick auf die ‚dekoloniale Agenda‘ der Geographie als Disziplin die wissenschaftliche Produktion von Wissen zum Thema Land Grabbing kritisch analysierte, um anhand der Bearbeitung eines Phänomens, das aufgrund seiner neo-kolonialen Ausprägung auch in wissenschaftlichen Arbeiten in der Kritik stand und steht, herauszuarbeiten, wie global inklusiv geographische Forschung in diesem Themenbereich schon ist oder noch nicht ist. Befragungen von insgesamt 45 leitenden Angestellten in Regierungsbehörden aller 29 indischen Bundesstaaten (Landwirtschaftsministerien, Ministerien für Ländliche Entwicklung, Ministerien für Umwelt und Erneuerbare Energie, staatliche Entwicklungsbehörden und Behörden für Land/Landreform, sowie staatliche Behörden für Biotechnologien), 30 Mitarbeitern in Regierungsbehörden, Nichtregierungsorganisationen, Forschungseinrichtungen und Verbänden rund um Biodiesel und Jatropha in Indien, 25 internationalen Experten, sowie 55 Unternehmen, welche zwischen 2000 und 2015 in Bereich Jatropha in Indien aktiv waren, wurden mit einer umfangreichen Analyse der von 2000 bis 2020 zum Thema Land Grabbing publizierten wissenschaftlichen Literatur (insgesamt 959 Artikel und Buchkapitel) und der zum Thema Jatropha (insgesamt 348 Artikel und Buchkapitel) publizierten wissenschaftlichen Literatur verknüpft. Die Ergebnisse zeigen, dass Investitionen in Jatropha in Indien (und auch in anderen Ländern) nicht im vermuteten Ausmaß erfolgt sind. Der ‚Hype‘ um Biokraftstoffe im Allgemeinen und um Jatropha im Speziellen hatte hier zu überhöhten Erwartungen beigetragen, bezüglich auf das Phänomen Land Grabbing zu vorschnellen Befürchtungen. Unternehmen unterschiedlicher Kategorien, etwa hinsichtlich ihrer Größe, Ausrichtung, und ihrer regionalen Aktivität, reagierten sehr unterschiedlich auf die Anreize, welche durch den optimistischen Biodiesel-Diskurs geschaffen wurden, und waren auch in ganz unterschiedlichem Ausmaß vom später einsetzenden (hauptsächlich negativen) Land Grabbing-Diskurs betroffen. Hinsichtlich des generellen wissenschaftlichen Diskurses zum Thema Land Grabbing, der stark von Geographen mitgeprägt wurde, zeigte sich ein extremes Ungleichgewicht in der Autorenschaft zugunsten von Autoren aus Europa, Nordamerika oder Australien, welche 80% der Artikel zum Thema publizierten. Von Autoren aus dem Globalen Süden stammen lediglich 20% der Artikel zum Thema, obwohl hier 91% der Fallstudien durchgeführt wurden. Dies wirft Fragen dahingehend auf, wie Stimmen aus dem globalen Süden, über die Bereitstellung von Daten für Fallstudien hinaus, stärker in den wissenschaftlichen Diskurs, und die Produktion und Reproduktion von Wissen einbezogen werden können, um dem Ruf nach einer tatsächlich globalen Geographie gerecht zu werden.