Die Verwaltung des Illegalen. Migratorische und aufenthaltsrechtliche Illegalität in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt zielte auf eine Beschreibung und Erklärung der Ursachen und Folgen sowie der Formen illegaler Migration in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Die systematische und epochenübergreifende Analyse betrachtete sowohl die auf den illegalen Grenzübertritt bezogene ‚migratorische‘ als auch die mit dem illegalen Aufenthalt befasste ‚aufenthaltsrechtliche Illegalität‘ zugleich als veränderliches Resultat und als Herausforderung der Wahrnehmung von Migration und der damit zusammenhängenden Einflussnahme auf Migrations- und Aufenthaltsverhältnisse. In den Blick gerieten auf diese Weise Regime illegaler Migration als Wechselverhältnisse zwischen Migration und ihrer Verwaltung. Ihre weltanschaulichen und politischen Prinzipien, ihre Instanzen und Instrumente wurden analysiert und die Formen illegaler Migration zwischen den Polen von Duldung und repressiver Entgegnung gekennzeichnet. Die im Laufe der umfangreichen Recherchen in – überwiegend – staatlichen Verwaltungsarchivalien immer deutlicher hervortretende These einer unmittelbaren Verbindung moderner Staatsentstehung und – konsolidierung mit der Ausgestaltung der Regime illegaler Migration führte zu der Überzeugung, den Schwerpunkt des Projektes auf die Entwicklungen 1815-1870 und 1871-1932 zu legen und die Zeit nach 1933 in weiteren einzelnen Tiefenbohrungen nach Projektende anzugehen. Damit konnte migratorische und aufenthaltsrechtliche Illegalität in der Ausgangssituation moderner Staatsentstehung in Deutschland nach der Neuordnung Europas 1815 als stark abhängig von ökonomischen, kulturellen und politischen Erwägungen zu ‚Sicherheit‘ und ‚Wohlfahrt‘ identifiziert werden und die weiteren Entwicklungen bis zum Ende der Weimarer Republik als auf diese Muster von Regimen illegaler Migration bezogene Konsolidierung moderner Staatlichkeit eingeordnet werden. Der in quantitativer und qualitativer Hinsicht zunächst unterschätzte Quellenkorpus zur Verwaltung des Illegalen 1815-1870 gerade auch auf oberer (König, Staatsministerien) und mittlerer (Diplomatische Vertretungen, (Ober)Präsidien/Kreisleitung, Justizverwaltung) aber auch unterer (Polizei- /Gendarmerieeinheiten, Grenzbehörden, Bürgermeisterämter/Bürgerschaften) politischer Ebene deutete auf die zeitspezifische Relevanz des Themas und damit auf die konzeptionelle Relevanz dieses Zeitraums als Gründungsphase moderner Staatlichkeit in Deutschland: Überlegungen zur territorialen Hingehörigkeit von Personen nahmen die im örtlichen Kontakt entwickelten sozialen und kulturellen Wahrnehmungsmuster von Zugehörigkeit auf, bildeten sie weiter aus und stießen politische Fragen nach Angehörigkeit an, so dass die Illegalisierung von Migration und von Migranten letztlich zum Motor der Staatsbildung wurde. Durch die Analyse der Entwicklung der weltanschaulichen und politischen Prinzipien, der mit Migration befassten Instanzen und Instrumente wurde die Entwicklung Deutschlands zwischen den Polen ‚nationaler Wohlfahrtsstaatlichkeit‘ (Primat der Ökonomie) und ‚ethnischer Nationalstaatlichkeit‘ (Primat der Kultur) bis 1932 nachvollzogen. Migration wurde in der staatlichen Verwaltung als Gegensatz von Sesshaftigkeit im Spannungsverhältnis eines Diskurses über ‚Erwünschte‘, ‚Geduldete‘ und ‚Lästige‘ verhandelt und konnte vom Prinzip des Staates her gedacht im Projekt als nicht ausschließlich grenzüberschreitende Mobilität begriffen, sondern im Gegenteil gerade auch als maßgeblich zu ordnende und zu verwaltende Binnenwanderung betrachtet werden. Insgesamt erhält das Thema Migration damit einen hervorgehobenen Stellenwert in einer politischen Kulturgeschichte von Staatlichkeit.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Jeder zehnte Mensch war illegal, in: Die neuen Deutschen. Vom Dreißigjährigen Krieg bis heute: 400 Jahre Einwanderung nach Deutschland (Zeit Geschichte, Nr. 4. 2015), S. 40-45
Schubert, Michael
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Die Konstruktion des Illegalen. Regime illegaler Migration in Deutschland in historischer Perspektive, in: Kostner, Sandra (Hg.), Migration und Integration. Akzeptanz und Widerstand im transnationalen Nationalstaat, Münster 2016, S. 85-108
Schubert, Michael