Jenseits des Ödipus . Topologien eines Theaters der Sorge
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Unter dem Titel "Chor-Denken. Sorge, Wahrheit, Technik" weist meine Studie erstmals im Detail die enge Zusammengehörigkeit des Theaterchores und der durch den späten Foucault zentral verhandelten Prakiken der antiken Sorge nach. Zugleich schließt sie an neuere medienwissenschaftliche Diskurse über ein relationales Sein unter den Bedingungen digitaler Globalvernetzung an, gibt diesen aber eine historische und epistemologische Tiefe, die bis zur antiken Schwellenzeit zurückreicht. Entlang der Geschichte der Chores werden die tiefenstrukturellen Bedingungen jener technologischen, medialen und politischen Prozesse nachgezeichnet, mit denen in der abendländischen Geschichte vermeintliche Hintergrund-Phänomene nicht nur erkundet, bebaut und ausgebeutet, sondern auch diversen Versuchen der Verwaltung, Regulierung und Optimierung unterworfen wurden. Entsprechend entfaltet die Studie ihre Argumentation zu gleichen Teilen in einer detaillierten Neulektüre antiker (Aischylos, Sophokles, Euripides, Aristophanes, Seneca, Platon, Epikur/Lukrez) und neuzeitlicher Materialien (Brecht, Chétouane, Heidegger, Jelinek, Litscher, Müller). Möglich wird diese Konstellierung unter einer Prämisse, die sowohl Foucaults wie auch Deleuzes und Guattaris Rückbezügen auf die Antike zu Grunde lagen: Demnach kommunizieren diverse Problemfelder einer sich kontrollgesellschaftlich und environmental einrichtenden „Kosmo-Polis“ bei näherem Hinsehen strukturell mit ebenjener historischen Schwelle, an der die antike Polis sich ins Verhältnis zu den umweltlichen Kräften der Erde zu setzen bzw. sich von ihnen abzuschneiden suchte. Neben dem Thema der Generationenverhältnisse betrifft dies im speziellen Fragen der Ökologie, der Kybernetisierung, aber auch der Fluchtbewegungen und des Asyls (Hikesie), das etwa in Aischylos' Schutzflehenden noch stark unter der Voraussetzung einer unteilbaren bzw. anfänglich geteilten Erde verhandelt wird – Sujets, die heute grundsätzlich die Frage nach einer möglichen Sorgeethik im Sinn des späten Foucault aufwerfen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- „Gibt es einen richtigen Chor im Falschen? Von der Pest und vom Glück des Volkes“, in: Annuß, Evelyn (Hg.): Inszenierungen der Volksfigur. (Maske und Kothurn), Wien 2015, S. 43-54
Sebastian Kirsch
(Siehe online unter https://doi.org/10.7767/muk-2014-0207) - „Vermählt mit dem (Theater)Gott. Aischylos' ‚Hiketiden‘, oder: Der Chor als Medium des Heiligen“, in: Balke, Friedrich / Siegert, Bernhard / Vogl, Joseph (Hg.): Medien des Heiligen (Archiv für Mediengeschichte Band 15), München 2015, S. 21-29
Sebastian Kirsch
(Siehe online unter https://doi.org/10.30965/9783846759905) - „Ästhetisierung, Gouvernementalisierung, Chor – am Beispiel von Philippe Quesnes ,La Mélancolie des Dragons‘“ In: Annuß, Evelyn (Hg.): Kollektive Auftrittsformen, Forum Modernes Theater, Tübingen 2017, S. 25-39
Sebastian Kirsch
(Siehe online unter https://doi.org/10.1353/fmt.2013.0003) - „‚...Wie Gestank, der ihn umweht‘ Kritik im Zeichen von Gouvernementalisierung“, in: Müller-Schöll, Nikolaus / Siegmund, Gerald: Theater als Kritik, Bielefeld 2018, S. 513-521
Sebastian Kirsch
(Siehe online unter https://doi.org/10.14361/9783839444528-050) - „Chor-Denken. Wahrheit, Sorge, Technik“ (Habilitation), 693 S., Paderborn: Fink 2020
Sebastian Kirsch
(Siehe online unter https://doi.org/10.30965/9783846764848) - „Why Streets Are No Longer Paved with
Theater Gold: Critique and Stage Form(s)“, in: Söntgen, Beate et al. (Hg.): Critique: The Stakes of Form, Zurich : Diaphanes, 2020, S. 325-342
Sebastian Kirsch