Critique of Speculation. Speculative Practices and Speculative Bubbles in a Capital and Media Theory Perspective
Final Report Abstract
Das Projekt konnte zeigen, dass sich spekulative Praktiken auch jenseits der Investition wirtschaftlichen Kapitals finden lassen. Für diesen translateralen Vergleich über gesellschaftliche Felder hinweg wurde Spekulation definiert als Investition sozialen Kapitals mit der Absicht, von Bewertungsveränderungen zu profitieren, nicht von Erträgen oder Arbeit. Den Rahmen der Untersuchung bilden die Soziologie der Bewertung und eine modifizierte parsonianische Theorie der Erfolgsmedien (mit Elementen der Bourdieuschen Kapitaltheorie). Spekulation befördert eine Umverteilung zugunsten derer, die künftige allgemeine Meinungsumschwünge eher und zutreffender vorhersagen als andere – spekulativer Erfolg lässt sich nicht egalisieren. Es besteht eine Verwandtschaft zur „aktiven Spekulation“ der Schumpeterschen Unternehmerin und ihren Sonderprofiten für die Durchsetzung von Innovationen. Im Gegensatz zur Spekulation ist ein „reproduktiver“ Investitionsstil nicht auf Bewertungsänderungen, oft sogar auf Bewertungsstabilität angewiesen. Auf den untersuchten gesellschaftlichen Feldern ließ sich die Bildung von Wertentwicklungskonventionen feststellen, wobei massenhafte Imitation von Investitionsverhalten zur Entstehung von Spekulationsblasen führt, also zu einer Diskrepanz zwischen der Bewertung von Themen, Personen, Projekten, Objekten und ihren erwartbaren Erträgen. Investitionsmoden enthalten Aspekte euphorischer Übertreibung. In Blasen werden die erhältlichen „Fundamentaldaten“ – ohnehin umstritten – für die Bewertung unerheblich. Zumindest auf kurze Sicht, bei Kreditexpansion* auch länger, zwingt die soziale Energie der Blase auch Teilnehmer in die Konformität, die individuell nicht überzeugt sind („Nackter-Kaiser-Effekt“). Als Bedingungen der Zunahme von Spekulation ließen sich, neben der Grundvoraussetzung einer Bewertungssphäre mit mindestens ordinalskaliertem Bewertungsmaßstab (z.B. nach Reputation, Macht, Wissensautorität) Liquidität der Investitionspositionen, Volatilität der Bewertung von Investitionsgütern und Medienschöpfung per Kreditvergabe ausmachen. Im Extremfall verhindern feste Bindungen, Bewertungsstabilität, Kreditverweigerung jede Spekulation. Im anderen Extrem bietet eine „liquidierte“ Sozialstruktur mit ungewisser Zukunft, Bewertungsschwankungen und lockerem Kredit spekulative Chancen. Die Ursachen für die Zunahme dieser Bedingungen spekulativer Praktiken auf verschiedenen (nicht allen) gesellschaftlichen Feldern wurden diskutiert. Beigetragen hatte die im Kern der neoliberalen Programmatik stehende, nicht nur wirtschaftsbezogene Überzeugung, ein Mehr an Liquidität führe durchweg zur Optimierung des Marktergebnisses. Auf verschiedenen Feldern lassen sich Symptome einer Hyperliquidität ausmachen: So erzeugen politische Unsicherheit und Polarisierung für die Hazardeure des politischen Populismus eine enthemmte Liquidität ihrer taktischen Positionen. In der Aufmerksamkeitsökonomie erzeugen „Fake News“ kurzfristige Aufmerksamkeitsgewinne jenseits der Konsistenzkontrolle. Lockerer Kredit* (in Aufmerksamkeit, Macht, Reputation) und die Abnahme der Effektivität von Kontrollinstanzen schaffen die ideale Umwelt spekulativer Praktiken. Von diesen empirischen Befunden aus ließ sich die Diagnose der Grenzen der sozial instituierbaren Liquidität gewinnen. Nicht die spekulativen Praktiken selbst sind dabei problematisch (oder gar „instrumentelle Rationalität“), sondern eine Erosion der institutionellen Voraussetzungen ihrer Funktionalität.
Publications
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Oliver Kuhn
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