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Die globalisierte Peripherie: Atlantikhandel, sozioökonomischer und kultureller Wandel in Mitteleuropa (ca. 1670 bis 1850)

Fachliche Zuordnung Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Förderung Förderung von 2014 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 251981575
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Zentral- und Osteuropa galten in der Geschichte der europäischen Expansion bisher immer als „periphere“ Regionen der frühen Weltwirtschaft. Dieses Projekt trägt zunächst zu der Diskussion bei, die diese Sicht zunehmend in Frage stellt, und des Weiteren zu der von E. Williams (1944) angestoßenen Debatte um einen Kausalnexus zwischen Sklavenhandel und Plantagensklaverei auf der einen und der Industrialisierung Europas auf der anderen Seite. In diesem Kontext steht auch das Problem der ökonomischen Stagnation in Afrika und den südlicheren Amerikas. Die Debatte um „Slavery & Capitalism“ konzentrierte sich von Williams bis in die jüngste Zeit auf das früh industrialisierte Großbritannien, so auch noch bei J. Inikori (2002) oder N. Zahedie (2010). S. Beckert (2014) hat mit der Geschichte eines Produkts - der Baumwolle - diesen nationalen Rahmen hinter sich gelassen und die grundsätzliche Bedeutung von unfreier Arbeit und anderen Formen von Gewalt in der Genese des Kapitalismus betont. Dieses Projekt ging in zweierlei Hinsicht einen Schritt weiter: Es betrat regional Neuland - das von der relevanten Forschung vernachlässigte Alte Reich - und es nahm bislang übersehene Produkte in den Blick, wie Gummi Arabikum und Leinenstoffe. Leinen - das mit Abstand wichtigste (und dennoch wenig erforschte) Exportgut des Alten Reiches - konkurrierte bis weit ins 18. Jhd. mit der Baumwolie. Schon die enorme Menge zentraleuropäischer Waren, die auf atlantische Märkte gingen (neben den Leinen auch Metall- und Glaswaren, in geringerem Umfang Bauwollstoffe, und vieles andere), belegt, dass ganze Regionen des Alten Reichs aufs engste mit der atlantischen Wirtschaft verflochten waren, und dass atlantische Märkte diesen Exportregionen wichtige Wachstumsimpulse gaben. Umgekehrt waren “atlantische“ Rohstoffe, wie etwa Gummi Arabikum und Farbstoffe, selbstverständliche Zutaten in Produktionsprozessen und alltäglichem Konsum. Das Phänomen war in einigen Regionen (Schlesien, Böhmen, Westfalen, Berg ...) so mächtig, dass es die Arbeitsregime (wie z.B. schlesische Leibeigenschaft) tiefgehend prägte, und dass man in ihm Ursprünge des jeweiligen Pfades zur Industrialisierung erkennt. Die Wirtschaft dieser Gebiete wurde bis weit ins 19. Jhd. arbeitsintensiv entwickelt; die kapitalintensive Industrialisierung konnte dann aber auf seit Jahrhunderten erschlossene Märkte und bewährte Vertriebsstrukturen setzen. Mit dem zentraleuropäischen Blick auf den atlantischen Raum konnten Ost-West-Stercotype und der weiterhin wirksame Peripherie-Begriff Immanuel Wallersteins auf verschiedenen Ebenen hinterfragt werden. Westfälische oder schlesische Femhändler z.B. agierten keinesfalls aus einer (semi)peripheren Position. Die Leibeigenschaft in protoindustriellen Regionen des Reichs belegt, dass unfreie Arbeit nicht nur in kolonialen Peripherien, sondern auch mitten in Europa vorkam. Dabei produzierte man nicht nur Massengüter (wie von Wallerstein und zuvor von Marx postuliert), sondern hochwertige Textilien. Ohne Zentraleuropa hätte das „atlantische System“ nicht (oder zumindest weniger effizient) funktioniert, und dasselbe gilt im umgekehrten Sinn. Preußen deckte im späten 18. Jhd. knapp 40% Prozent seiner Einnahmen aus der Besteuerung der schlesischen Wirtschaft, v.a. des Leinenhandels. Die Eroberung Schlesiens durch Preußen und dessen Aufstieg zur großen Kontinentalmacht ist also auch vor dem Hintergrund der atlantischen Wirtschaft zu verstehen. In diesen Zusammenhang gehört auch der bislang wenig beachtete Ausbau des Hafens Stettin, über den das Land seine wachsenden Seeimporte leitete. Der schlesische Textilsektor brach nicht, wie immer wieder behauptet, unter dem Druck englischer Industrieerzeugnisse zusammen, sondern wurde selbst ab ca. 1840 erfolgreich industrialisiert.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2021) A cloth that binds: new perspectives on the eighteenth-century Prussian economy. Slavery & Abolition 42 (1) 105–129
    Steffen, Anka
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1080/0144039X.2020.1860467)
  • Central Europe and the Portuguese, Spanish and French Atlantic, 15th to 19th centuries, in: European Review 26/3 (2018), 421-429
    Torsten dos Santos Arnold
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1017/S106279871800011X)
  • Dyeing Woollens in Eighteenth-Century Berlin. The Königliches Lagerhaus and the globalization of Prussia through coloring materials. In: Kim Siebenhüner, John Jordan & Gabi Schopf (Hg.): Cotton in Context: Mantrfacturing, Marketing and Consuming Textiles in the German-speaking World. Wien/Köln/Weimar: Winkler 2019, 195-221
    Jutta Wimmler
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1080/00404969.2019.1582580)
  • From Senegal to Augsburg; Gum Arabic and the Central European Textile Industry in the Eighteenth Century, in: Textile History 50/1 (2019), 4-22
    Jutta Wimmler
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1080/00404969.2019.1582580)
  • Globalized Peripheries. Central and Eastern Europe in a Rethinking of the Atlantic World, c. 1680-1850. Boydell & Brewer 2020 (= People, Markets, Goods) ISBN 9781783274758. 285 S.
    Jutta Wimmler & Klaus Weber (Hg.)
 
 

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