Ratio religionis: Religiöse Philosophie und philosophische Religion in der frühen Kaiserzeit
Final Report Abstract
Die Untersuchung exemplarischer Schriften aus den Bereichen des Judentums, des Christentums und der paganen Religiosität hat die Verschmelzung religiöser und philosophischer Diskurse im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. als ein übergreifendes Phänomen sichtbar gemacht. Für alle drei Bereiche ist die philosophische Auseinandersetzung mit religiösen Traditionen, die als Fundament wahrer Philosophie erscheinen, kennzeichnend. Nicht allein spekulative Metaphysik, die seit jeher zum Kernbestand der Philosophie zählt, sondern auch religiöse Erzählungen und Geschichtsüberlieferungen, religiöse Riten, Artefakte, Kulträume usw. werden hier aufgenommen, und dies nicht im Sinne einer gebildeten Religionskunde, sondern mit dem Ziel einer existentiellen Erschließung, die als Heilsweg begriffen wird. Über den Einfluss religiöser Thematiken und Traditionen ergeben sich neue, in der Akademie bis dato ungewöhnliche Platon-Interpretationen (etwa Schöpfung im Timaios als Schöpfung in der Zeit; monotheistische Tendenzen). Die Wendung der Philosophie hin zur Religion und vice versa, die üblicherweise als Entwicklung der Spätantike betrachtet und im Bereich des Neuplatonismus verortet wird, kann damit bereits im 1./2. Jahrhundert beobachtet werden als ein Phänomen, das jüdische, christliche und pagan-religiöse Texte umgreift und für mittelplatonische Autoren wie Philon, Plutarch oder Klemens kennzeichnend ist. Autoritative Traditionen aus Religion und Philosophie werden in diesen Schriften in einem hermeneutischen Prozess der gegenseitigen Erschließung aufgenommen. Die Untersuchungen konnten ein komplexes Ineinander von Rezeption, Interpretation und kreativer Fortschreibung erheben, durch das kreative Neudeutungen in beiden Bereichen entstanden. Auf Grund dieser Ergebnisse kann von einem übergreifenden Phänomen religiöser Philosophie bzw. philosophischer Religion im 1./2. Jahrhundert gesprochen werden, das im Mittelplatonismus zu verorten ist. Zugleich ließ die sorgfältige literarische Untersuchung exemplarischer Einzeltexte die individuelle Formung (Dialogtechnik, Kotextualität, Bildsprache, Sprechercharakterisierung) der jeweiligen Schriften hervortreten. Dies rückte methodische Fragen nach der Angemessenheit einer Systematisierung des philosophischen wie religiösen Standpunkts des Verfassers in den Vordergrund. Hieraus ergaben sich neue Thesen zu Autorintention, Adressatenschaft, historischer und (wissens-) soziologischer Kontextualisierung usw. Ein entscheidender Beitrag besteht in der Erarbeitung von Kategorien zur Beschreibung des Phänomens philosophischer Religion bzw. religiöser Philosophie. • R. Hirsch-Luipold, Ratio Religionis. Religiöse Philosophie und philosophische Religion in der frühen Kaiserzeit. EC 1/1 (2010), 189–191. • Eine Frage der Balance: Zwischen individuellem Forschen und Teamarbeit, in: duz Spezial: Gemeinsam stark – Kluge Köpfe für Göttingen, 32f., Oktober 2007. • Bericht über die Ratio Religionis Sommerwerkstatt 2007, in: Studia Philonica Annual 2008.
Publications
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Religiöse Philosophie und philosophische Religion der frühen Kaiserzeit. Literaturgeschichtliche Perspektiven (Ratio Religionis Studien I), STAC 51, Tübingen 2009
R. Hirsch-Luipold/H. Görgemanns/M. von Albrecht unter Mitarbeit von T. Thum
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Plutarchs Dialog De E apud Delphos. Eine Studie, Ratio Religionis Studien II (STAC 80), Tübingen 2013
T. Thum
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Die Wurzel allen Übels. Vorstellungen über die Herkunft des Übels und des Bösen in der Literatur des 1.-4. Jahrhunderts. Ratio Religionis Studien III (STAC 91), Tübingen 2014
R. Hirsch-Luipold/F. Jourdan