Aporias of subjectivation. On the appropriation and negotiation of discursive subject positions via a further development of the documentary method at the example of occupational socialization in the realm of professional politics and arts
Final Report Abstract
Die Ergebnisse des Projekts „Aporien der Subjektivierung“ begründen methodologisch-theoretisch und illustrieren empirisch eine Weiterentwicklung der qualitativen, rekonstruktiven Sozialforschung bzw. der Methodologie der Dokumentarischen Methode zur Rekonstruktion dominanter Subjektnormen in beruflichen Kontexten (hier: Kunst und Politik) anhand ihrer Aneignung und Aushandlung durch die AkteurInnen. D.h. es werden – mittels einer dokumentarischen Subjektivierungsforschung – methodische Mittel (der Analyse von Gruppendiskussionen und narrativen Interviews) eingeführt, um die je nach Kontext teils mehr, teils weniger gegebene Hegemonialität von Normen eines geforderten Subjekt-Seins nicht durch Diskurs- und entsprechende Dokumentenanalysen, sondern anhand der Perspektiven und Orientierungen von AkteurInnen zu untersuchen. Zentrales Ergebnis sind Typologien zur Relation von Subjektnormen in der professionellen Kunst und Politik sowie den Habitus der AkteurInnen, welche die Gestalt von Spannungsverhältnissen, Passungsverhältnissen und Varianten der Aneignung annehmen. Vor diesem Hintergrund bieten die Ergebnisse einen Einblick in Lernprozesse in (neuen) beruflichen Kontexten – und der Sozialisation in diese – unter den Bedingungen mehr oder weniger hegemonialer Normen eines idealen Subjekt-Seins. Es ließen sich in der Kunst und Politik sehr ähnlich authentizitätsbezogene Subjektnormen, aber grundlegend verschiedene Modi der Subjektivierung rekonstruieren. In der Politik beziehen sich AkteurInnen – trotz völlig unterschiedlicher habitueller, beruflicher Orientierungen (objektiv-wissenschaftlich, pragmatisch-intuitiv, biographisch-engagiert) gleichermaßen – affirmativ auf die authentizitätsbezogene Norm ‚sich selbst treu zu sein/ zu bleiben‘ und bilden entsprechend Idealisierungen ihres Selbst aus, in denen Komponenten ihres Habitus reflexiv verfügbar und (mit Blick auf die beruflich-professionelle Praxis) stilisiert werden. Diese Technik des Selbst regelt die Repräsentation eines widerspruchsfreien Verhältnisses zwischen professionellem Handeln und Privat- bzw. früherem Berufsleben. Es handelt sich zwar um eine idealisierende Reflexion, welche die politische Praxis (in der Kommunikation mit WählerInnen, KollegInnen und der parlamentarischen Arbeit) aber zugleich implizit anleitet. In der Kunst findet sich lediglich ein Habitus-Typ, der sich an einer Norm eines authentischen Selbstausdrucks im professionellen Schaffen orientiert (ohne entsprechende Idealisierungen aufzuweisen); während vor allem subversive Praktiken der Abwehr jener Norm zu beobachten sind. Die Norm wird dann zwar durchaus gekannt, aber nicht anerkannt (Habitus ästhetischen Experimentierens, künstlerischer Sozialkritik, der Realisierung neuer ästhetischer Positionen). Wenngleich die künstlerische Praxis bzw. die Habitus der professionellen Produktion von Kunst sich also weitgehend (bis auf einen Habitus-Typ des künstlerischen Selbst-Ausdrucks) konkreten Authentizitätsansprüchen entziehen bzw. diese teils unterlaufen, so ist zugleich eine Haltung (unabhängig von Produktionshabitus, Erfolg/Erfahrung, Ausstellungskontexten, Geschlecht oder Herkunftsmilieu) zu rekonstruieren, gemäß der (Privat)Leben und Beruf(ung) unmöglich zu trennen sind. Der Glaube an dieses ‚Ethos der Entgrenzung der Kunst‘ wird lediglich unter Bedingung der face-to-face-Interaktion (in allen geführten Gruppendiskussionen) aktualisiert und ist, wie Diskussionen mit jungen KünstlerInnen zeigen, geradezu eine geforderte ‚Eintrittskarte‘ um an dem professionellen Betrieb teilzunehmen. Insofern lässt sich feststellen, dass Authentizität im professionellen Handeln für die meisten KünstlerInnen schon daher kaum eine Relevanz zukommt, da berufliche und private Bezüge kaum zu trennen sind (genauer: nicht zu trennen sein dürfen, um als legitime/r, ‚echte/r‘ KünstlerIn zu gelten). Auf das professionelle Handeln und Wirken unmittelbar bezogene Authentizitätsnormen werden in der Politik zwar deutlich affirmativer übernommen, beruhen allerdings auf einer – die Komplexität des Handelns erheblich reduzierenden – Selbstidealisierung, welche die KünstlerInnen nicht kennen (bzw. die im Untersuchungsdesign mittels Gruppendiskussionen und narrativen Interviews nicht beobachtbar war). Insofern hegt eine Sozialisation in die Welt der Berufspolitik die Kontingenz von Selbst- und Weltverhältnissen stark ein, indem AkteurInnen sich durch Techniken des Selbst (Idealisierungen) an einer authentizitätsbezogenen Subjektnorm orientieren, während eine Sozialisation in die professionelle Kunst keine kollektiv geteilten Techniken des Selbst (jenseits eines Habitus- Typs des Selbst-Ausdrucks) produziert, sondern einen Anpassungsdruck an ein berufliches Ethos (der Entdifferenzierung von Kunst und Leben), das die AkteurInnen in hohem Maße verschieden bewältigen und das sie lediglich ähnlich heraus- und teils überfordert (durch Vereinbarkeitsschwierigkeiten). Generell verweisen die Ergebnisse einer dokumentarischen Subjektivierungsforschung auf eine kontextbezogene Anwendung methodologischer Kategorien (etwa hinsichtlich der jüngst theoretisch und methodologisch viel diskutierten Differenzierung von implizitem und explizitem Wissen) sowie die Notwendigkeit von ‚feld‘- bzw. kontextspezifischen Typenbildungen zur Rekonstruktion der Prägekraft normativer Ordnungen und lassen die Fruchtbarkeit der Analyse von Subjektivierungsprozessen, also der Rekonstruktion von Aushandlungen und Aneignungen normativer Ordnungen, für die berufsbezogene Lern- , Bildungs- und Sozialisationsforschung hervorheben.
Publications
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Amling, Steffen
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(2019) Logiken der Praxis im Parlament Empirische Rekonstruktionen von Orientierungsrahmen von Bundestagsabgeordneten. SozW Soziale Welt 70 (1) 33-59
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(2018): Subjektivierungsforschung als rekonstruktive Sozialforschung vor dem Hintergrund der Governmentality und Cultural Studies: Eine Typologie der Relation zwischen Subjektnormen und Habitus als Verhältnisse der Spannung, Passung und Aneignung. In: Geimer, Alexander/Amling, Steffen/Bosančić, Saša (Hg.): Subjekt und Subjektivierung – Empirische und theoretische Perspektiven auf Subjektivierungsprozesse. Wiesbaden: VS, S. 19-42)
Geimer, Alexander/Amling, Steffen
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(2019): Subjektnormen in Orientierungsrahmen: Zur (Ir)Relevanz von Authentizitätsforderungen für die künstlerische Praxis. ZQF. Zeitschrift für qualitative Forschung 20(1), S. 157-174
Geimer, Alexander