Ikonische Architektur im Spannungsfeld gouvernementaler Stadtpolitik. Diskursive Aushandlungsprozesse am Fallbeispiel der Elbphilharmonie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Kontext des internationalen Wettbewerbs von Städten spielen ikonische Architekturen als spektakuläre städtebauliche Großprojekte eine immer wichtigere Rolle: Sie sind gleichzeitig Ausdruck einer zunehmenden Kulturalisierung städtischer Ökonomien sowie symbolisch-materielle Manifestationen unternehmerischer Stadtentwicklungspolitiken unter neoliberalen Vorzeichen. Vor diesem Hintergrund wurden am Beispiel der Hamburger Elbphilharmonie die veränderten Diskurse und Praktiken urbaner Gouvernementalität untersucht. Der modulare Aufbau des Projektes wurde von der Leitfrage aus strukturiert, inwieweit der Bau der Elbphilharmonie und die mit ihm verbundenen diskursiven Praktiken als Ausdruck und Mittel einer neoliberalen Neuverhandlung städtischen Regierens verstanden werden können und müssen. Der lexikometrische Zugriff auf ein umfangreiches Medienkorpus sowie die formal-qualitative Analyse leitfadengestützter Interviews mit lokalen Akteuren verweisen dabei einerseits auf hegemoniale Formatierungen der Elbphilharmonie im Kontext eines spätmodernen neoliberalen Stadtumbaus. Er lässt aber gleichzeitig ein diskursives Spannungsfeld hervortreten, in dem zusätzlich zu den übergeordneten Mustern auch lokalspezifische Formen neoliberaler Gouvernementalität erkennbar werden. In Hamburg spielen entsprechend „verankerte“ Diskurse und Praktiken bürgerschaftlichen Engagements und Mäzenatentums für die stadtpolitische Aushandlung des Projektes eine zentrale Rolle. Genau genommen gewinnen sie einen Teil ihrer Kraft gerade dadurch, dass sie als diskursive Spuren einer stadtspezifischen Genealogie an lokal tradierte und damit diskursiv „eingeübte“ liberale Identitätsdiskurse und Rationalitäten anknüpfen. In dieser Hinsicht sind die Befunde ein spannender Beleg für die lokale Variation bzw. die Pfadabhängigkeit städtischen Regierens. In der Summe zeigen die Ergebnisse des Fallbeispiels, wie Elemente post-politischer Praktiken neoliberaler Stadtpolitik Einfluss nehmen auf den Entstehungsprozess sowie die stadtpolitische Aushandlung, Legitimierung und Durchsetzung des städtebaulichen Großprojektes. In diesem Deutungsrahmen kann auch die ikonische Architektur selbst nach den empirischen Befunden in gewisser Weise als „post-politisch“ verstanden werden, dient doch ihre ikonische Strahlkraft nicht nur repräsentativen, konsumptiven und kommerziellen Zwecken, sondern auch dem Überschreiben kontroverser Aushandlungsformen der politischen Debatte im Sinne einer gouvernementalen Konsenspolitik in der neoliberalen Stadt. Bei der Frage nach der Rolle von Widerstand und Protest gegen das städtebauliche Großprojekt liefert die Empirie zunächst ein überraschendes Ergebnis: Trotz projektspezifischer Entwicklungen und Skandale (u.a. Kostensteigerungen), die die dominanten Rationalitäten einer neoliberalen Großprojekt-Politik ebenso herausfordern wie die jahrzehntelang eingeübte lokalspezifische Hamburger Protesttradition, ist es gerade die überwiegende Abwesenheit von strukturell wirksamem Widerstand, die hier erklärungsbedürftig ist. Die genauere Analyse der Interviews macht diesen Befund verstehbar, denn sie kann zeigen, dass auch in diesem Fall ein Set lokalspezifischer Momente und Konstellationen den auf den Bau der Elbphilharmonie gerichteten Widerstand strukturell „einfangen“ und damit auch schwächen kann. Gemeinsam zeigen die Ergebnisse des untersuchten Fallbeispiels der Hamburger Elbphilharmonie, dass es nicht nur möglich, sondern notwendig ist, Analysen der gouvernementalen Rationalitäten und Technologien neoliberaler Stadtpolitik und -planung um eine geographische, d.h. räumlich-kontextspezifische, Betrachtungsperspektive zu erweitern. Die Ergebnisse machen nachvollziehbar, wie sehr die auf einer Makroebene geführten Diskurse um ikonische Architektur sich noch einmal in spezifischer Weise in die lokale Mikroebene hineinschreiben, wobei es zu spannenden spezifischen Interferenzen kommt, die in die wissenschaftliche Betrachtung und Bewertung von Genese und Rolle entsprechender Projekte als „lokalspezifische neoliberale Form von Gouvernementalität“ eingebracht werden können. Diese lokale Genealogie neoliberaler Großprojekte zeigt sich nicht nur bezogen auf die teilweise ortsspezifisch modifizierten Rationalitäten und Technologien im Umfeld der Diskussion um den Bau der Elbphilharmonie, sondern auch an lokal- und projektspezifischen Charakteristika des Widerstandes. In dieser Form sind die Ergebnisse nicht nur ein Plädoyer für die geographische Erweiterung bzw. Re- Formulierung entsprechender Theorieansätze, sie legen es auch für zukünftige konkrete Analysen entsprechender Projekte nahe, räumlich-kontextuelle Spezifika neoliberaler Gouvernementalitäten ebenso wie lokale symbolisch-affektive Ebenen, die in die Stadtpolitik hineinregieren, stärker einzubeziehen und in ihrem Zusammenspiel auszuloten. Für den Transfer in die Praxis können solche Erkenntnisse durchaus einen Mehrwert im Umfeld zukünftiger stadtentwicklungsbezogener Moderations- und Mediationsprozesse bereitstellen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2016): Regionsbildung im Schatten des Metropolendiskurses. Das Fallbeispiel der Region Südwestfalen. In: Raumforschung und Raumordnung, Jhg. 74, Heft 4, S. 293-305
Balke, J. und M. Reimer
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Association of American Geographers (AAG) Annual Meeting, 30.03.2016, San Francisco: Iconic Architecture in the ‘Post-Political City’. Insights from Hamburg’s Elbe Philharmonic Hall
Jan Balke
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(2017): Iconic architecture and place-specific neoliberal governmentality – Insights from Hamburg’s Elbe Philharmonic Hall. In: Urban Studies
Balke, J., Reuber, P. und G. Wood
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Deutscher Kongresses für Geographie, 29.09.2017, Tübingen, Sitzung des AK Politische Geographie: Zur Abwesenheit von (dauerhaftem) Widerstand bei Großbauprojekten – das Fallbeispiel der Hamburger Elbphilharmonie
Imme Lindemann