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Die soziale Konstruktion von Grenzgebieten: Ein Vergleich von zwei geopolitischen Fällen

Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Förderung Förderung von 2014 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 253541373
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Forschungsprojekt befasste sich mit der sozialen Konstruktion von Grenzgebieten und Grenzaktivitäten im Kontext von deren kurz- und längerfristigen Wandlungsprozessen im spanisch-marokkanischen Grenzraum um die Enklaven Ceuta und Melilla sowie im israelisch-ägyptischen Grenzraum. Das Ziel war die Rekonstruktion der handlungspraktisch hergestellten Vollzugswirklichkeiten von Grenzen durch die Angehörigen verschiedener Gruppierungen sowie die lebensgeschichtliche Genese, Bedeutung und Folgen dieser Handlungspraktiken. Wir konzentrierten uns insbesondere auf die längerfristig ansässige Lokalbevölkerung, die (illegalisierten) Migrierenden bzw. Geflüchteten aus verschiedenen Regionen (Syrien und afrikanische Länder) und die an der Grenze tätigen Sicherheitskräfte. Bereits zu Beginn der Forschung deuteten sich Veränderungen der beiden Grenzregionen hinsichtlich einer stärkeren Schließung bzw. Steuerung der Grenzüberquerungen an. Diese wurden im Projektverlauf sehr deutlich. Dabei zeigten sich Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede in den beiden Regionen. Gemeinsam ist ihnen, dass die verstärkte Schließung der Grenze im Widerspruch zu den längerfristig entstandenen Verflechtungszusammenhängen und Mobilitätspraktiken in den Grenzregionen stand. In unseren Befragungen und Beobachtungen zeigte sich, dass die in den letzten Jahren beschleunigten Wandlungsprozesse sehr unterschiedliche Bedeutungen für die in der jeweiligen Region lebenden Menschen haben. Während sich im israelisch-ägyptischen Grenzgebiet grenzüberschreitende Interaktionsbeziehungen in erster Linie auf die Gruppierung der Beduinen beschränken, sind die BewohnerInnen des Grenzgebietes um Melilla und Ceuta täglich in Interaktionen verflochten: Viele MarokkanerInnen kommen zur Arbeit in die Enklaven, BewohnerInnen der Enklaven überschreiten die Grenze zu Ausflügen, Restaurantbesuchen oder auch zu beruflichen Geschäften. Dieser rege Grenzverkehr ermöglicht Menschen, denen von den Sicherheitskräften zugeschrieben wird, MarokkanerInnen zu sein, immer wieder den Grenzübertritt. Geflüchtete aus Syrien, Algerien und anderen arabischen Staaten kommen so – und teilweise auch mit Hilfe gekaufter oder gefälschter Dokumente – über die Grenze. Darin liegt ein massiver Unterschied zu Schwarzen Migrierenden, denen aufgrund rassifizierender Zuschreibungen der Weg über die Grenzübergänge verunmöglicht wird. Sie sind gezwungen, deutlich riskantere Migrationsstrategien zu wählen. Die israelisch-ägyptische Grenze wird dagegen kaum noch von illegalisierten MigrantInnen überquert. Ausgenommen der offiziellen Grenzübergänge erfolgte hier eine fast vollständige Schließung und militärische Abriegelung des Grenzraumes. Neben der Errichtung des Grenzzaunes im Jahr 2014 ist dies vor allem durch die lebensgefährliche Migrationsroute über den Sinai und die ausgesprochen geringen Bleibeperspektiven in Israel bedingt. In Ceuta und Melilla hingegen überwanden im gesamten Projektzeitraum weiterhin etliche – meist westafrikanische – Geflüchtete den Grenzzaun. Der Vergleich der biographischen Verläufe der von uns interviewten geflüchteten Menschen zeigt, wie divergierend die lebens- und kollektivgeschichtlichen Konstellationen sind, die zum Verlassen der Heimatregionen und zu bestimmten Migrationsrouten führten. Außerdem wurde deutlich, wie erheblich die Selbstpräsentationen bezüglich der Flucht durch die Aushandlung der Lebenssituation in den Ankunftskontexten geprägt sind. Dabei spielen die dort dominanten Diskurse über Fluchtmigration sowie die jeweiligen Verflechtungen und Machtbalancen mit der Lokalbevölkerung und anderen Migrierenden eine wichtige Rolle. Dies führt dazu, dass die komplexe lebensgeschichtliche Genese der Flucht, insbesondere deren Bedingtheit durch Kontexte von politischer Verfolgung, kollektiver Gewalt und Diskriminierung, tendenziell nicht thematisiert wird. Die Selbstpräsentationen der geflüchteten Menschen entsprechen damit meist zunächst eher den Diskursen in den Ankunftsländern über Armut oder Krieg oder Desertion aus dem Militär unter Ausblendung der Erfahrungen von Gewalt in der Heimatregion. Dieser Befund konnte durch die Ergänzung der Forschung durch (Nach-) Interviews mit Geflüchteten in Äthiopien (aus Eritrea), in Uganda (mit aus Israel abgeschobenen Eritreern) und in Deutschland (mit Personen, die über Melilla oder Ceuta nach Europa gekommen waren) vertieft werden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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