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Hebammen im "biopolitischen Laborraum" des "Reichsgaus Wartheland" - Geburtshilfe zwischen Privatheit und staatlichem Zugriff

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2014 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 254425648
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Ziel der Germanisierung der besetzten und ins Deutsche Reich eingegliederten Gebiete bestimmte die deutschen Planungen zur Organisation der Geburtshilfe. Reichsdeutschen Hebammen kam hierbei eine Schlüsselfunktion zu. Ihnen wurden neue Kontroll-, Macht- und Erziehungskompetenzen sowohl in Bezug auf ihre „volksdeutsche“ Klientel als auch gegenüber polnisch-christlichen und „volksdeutschen“ Hebammen übertragen. Besatzungspolitik, Rassen- und Biopolitik transformierten Leben und berufliche Praxis polnisch-christlicher und polnisch-jüdischer Hebammen radikal. Sie erlebten Entrechtung, Enteignung und polnisch-jüdische Hebammen darüber hinaus Ausgrenzung, Ghettoisierung bis hin zu physischer Vernichtung. Trennlinien und Allianzen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen folgten jedoch nicht eindimensional rassen- und germanisierungspolitischen Vorgaben, sondern verliefen situationsbezogen, soziale Strukturen, Erfahrungen und Kontakte der Vorkriegszeit reflektierend auch quer zu biopolitischen Zielvorstellungen, Rassenpolitik und Umgangsverbot. Erst das Einsperren der jüdischen Bevölkerung im abgeriegelten Ghetto Litzmannstadt verunmöglichte individuelle Kontakte im Bereich von Schwangerschaft und Geburt zwischen Deutschen, Polen und Juden. Im Ghetto unterstrich die Organisation von Geburtshilfe und Schwangerschaftsabbrüchen durch Hebammen und Ärzte die Bedeutung des Ghettos als ein „Überlebens- und Lebensraum“. Besatzung als einen Prozess und Herrschaft als soziale Praxis verstehend, werden die kaum vergleichbaren Erfahrungen, Lebenswelten und Handlungsmöglichkeiten deutscher, polnischer und jüdischer Hebammen als Teile der „Anwesenheitsgesellschaft“, als Besatzer und unter Besatzung Lebende, im Raum des „Warthegaus“ in den Blick genommen. Für den weiblich dominierte Aktionsraum von Schwangerschaft, Geburt und früher Elternschaft wird sich auf diese Weise unter geschlechtergeschichtlicher, alltags-, medizin- und mikrogeschichtlicher Perspektive einer von Saul Friedländer geforderten „integrierten Geschichtsschreibung des Holocaust“ sowie einer von Tatjana Tönsmeyer vorgestellten „erweiterten Besatzungsgeschichte“ angenähert.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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