Hebammen im "biopolitischen Laborraum" des "Reichsgaus Wartheland" - Geburtshilfe zwischen Privatheit und staatlichem Zugriff
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Ziel der Germanisierung der besetzten und ins Deutsche Reich eingegliederten Gebiete bestimmte die deutschen Planungen zur Organisation der Geburtshilfe. Reichsdeutschen Hebammen kam hierbei eine Schlüsselfunktion zu. Ihnen wurden neue Kontroll-, Macht- und Erziehungskompetenzen sowohl in Bezug auf ihre „volksdeutsche“ Klientel als auch gegenüber polnisch-christlichen und „volksdeutschen“ Hebammen übertragen. Besatzungspolitik, Rassen- und Biopolitik transformierten Leben und berufliche Praxis polnisch-christlicher und polnisch-jüdischer Hebammen radikal. Sie erlebten Entrechtung, Enteignung und polnisch-jüdische Hebammen darüber hinaus Ausgrenzung, Ghettoisierung bis hin zu physischer Vernichtung. Trennlinien und Allianzen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen folgten jedoch nicht eindimensional rassen- und germanisierungspolitischen Vorgaben, sondern verliefen situationsbezogen, soziale Strukturen, Erfahrungen und Kontakte der Vorkriegszeit reflektierend auch quer zu biopolitischen Zielvorstellungen, Rassenpolitik und Umgangsverbot. Erst das Einsperren der jüdischen Bevölkerung im abgeriegelten Ghetto Litzmannstadt verunmöglichte individuelle Kontakte im Bereich von Schwangerschaft und Geburt zwischen Deutschen, Polen und Juden. Im Ghetto unterstrich die Organisation von Geburtshilfe und Schwangerschaftsabbrüchen durch Hebammen und Ärzte die Bedeutung des Ghettos als ein „Überlebens- und Lebensraum“. Besatzung als einen Prozess und Herrschaft als soziale Praxis verstehend, werden die kaum vergleichbaren Erfahrungen, Lebenswelten und Handlungsmöglichkeiten deutscher, polnischer und jüdischer Hebammen als Teile der „Anwesenheitsgesellschaft“, als Besatzer und unter Besatzung Lebende, im Raum des „Warthegaus“ in den Blick genommen. Für den weiblich dominierte Aktionsraum von Schwangerschaft, Geburt und früher Elternschaft wird sich auf diese Weise unter geschlechtergeschichtlicher, alltags-, medizin- und mikrogeschichtlicher Perspektive einer von Saul Friedländer geforderten „integrierten Geschichtsschreibung des Holocaust“ sowie einer von Tatjana Tönsmeyer vorgestellten „erweiterten Besatzungsgeschichte“ angenähert.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2020) Midwifery Under German Occupation in the Litzmannstadt Ghetto and in Western Poland. Nashim: A Journal of Jewish Women's Studies & Gender Issues (36) 86
Lisner, Wiebke
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Hebammen im “Reichsgau Wartheland” 1939–1945: Geburtshilfe im Spannungsfeld von Germanisierung, Biopolitik und individueller biographischer Umbruchsituation. In: Matthias Barelkowski/ Claudia Kraft/ Isabel Röskau-Rydel (Hg.): Zwischen Geschlecht und Nation (Polono-Germanica. Schriften der Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen e.V., vol. 10), Osnabrück: fibre, 2016, S. 237–64
Wiebke Lisner
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Midwifery and Racial Segregation in Occupied Western Poland 1939-1945. In: German History 35 (2017) 2, S. 229-246
Wiebke Lisner
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Geburtshilfe im Kontext von Gemeinschafts- und Rassenpolitik – Hebammen als weibliche Expertinnen im “Reichsgau Wartheland” 1939–1945. In: Detlef Schmiechen- Ackermann/ Marlis Buchholz/ Bianca Roitsch/ Karl-Heinz Schneider/ Christiane Schröder (Hg.): Der Ort der “Volksgemeinschaft” in der deutschen Gesellschaftsgeschichte, Paderborn: Schöningh Verlag, 2018, S. 311-32
Wiebke Lisner
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„A Birth is Nothing out of the Ordinary Here…“ Mothers, Midwives and the Private Sphere in the „Reichsgau Wartheland“ 1939-1945. In: Elizabeth Harvey/ Johannes Hürter/ Maiken Umbach/ Andreas Wirsching (Hg.): The Private Life and Privacy in Nazi Germany, Cambridge: Cambridge University Press, 2019, S. 304-330
Wiebke Lisner
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Zwischen staatlichen Vorgaben und gesellschaftlichen Bedürfnissen. Berufskarrieren von Hebammen und Geburtshilfe in Polen zwischen 1918 und 1945. In: Matthias Barelkowski/ Christoph Schutte (Hg.): Neuer Staat, neue Identitäten? Deutsch-polnisch-jüdische B
Wiebke Lisner/ Elżbieta Kassner