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Hebammen im "biopolitischen Laborraum" des "Reichsgaus Wartheland" - Geburtshilfe zwischen Privatheit und staatlichem Zugriff

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2014 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 254425648
 
In der Projektlaufzeit vom 01.06.2014 bis 30.11.2016 werden deutsche und polnische Hebammen als Akteure mit ihren jeweils spezifischen Handlungsoptionen, -motiven und Eigenlogiken in den Blick genommen. Hebammen arbeiteten als Expertinnen im weiblich besetzten und zugleich politisch hoch aufgeladenen Aktionsfeld von Geburt und Reproduktion im Reichsgau Wartheland. Das übergeordnete germanisierungs- und biopolitische Ziel, eine leistungsstarke erweiterte Volksgemeinschaft zu schaffen und zugleich die biologische Kraft der polnischen Bevölkerung zu brechen, bestimmte Geburtshilfe und Hebammenarbeit. Deutsche und polnische Hebammen arbeiteten an der Schnittstelle zwischen häuslicher, privater Sphäre und staatlichem Zugriff. Sie hatten hierbei eine interdependente Funktion als Begleiterinnen von Frauen in den biographischen Umbruchphasen von Schwangerschaft, Geburt und früher Elternschaft einerseits und, ausgestattet mit staatlichen Aufträgen, deutsche Hebammen auch mit Machtmitteln, zur Umsetzung nationalsozialistischer Biopolitik andererseits. Schwangerschaft, Geburt und frühe Elternschaft unterlagen hierbei, je nach Volkstumszugehörigkeit und rassischer Klassifizierung, den Zielen der NS-Rassen- und Biopolitik entsprechend, völlig unterschiedlichen Bedingungen.Die Priorisierung der Germanisierungs- und Rassenpolitik sowie die rassistische Sozialhierarchie verschafften reichsdeutschen Hebammen im Warthegau eine neue Autoritäts- und Machtposition. In ihrem Kompetenzbereich trieben sie entsprechende Umsetzungen eigenständig mit voran. Allerdings waren es vor allem polnische Hebammen, die den Großteil der geburtshilflichen Betreuung, auch der deutschen Bevölkerung, übernahmen und vielfach über ein ungebrochenes Vertrauensverhältnis zu ihrer volksdeutschen Klientel verfügten. Vertrauen zwischen Hebamme und ihrer Klientel konnte einen Ermöglichungsraum schaffen, in dem, zumindest zeitweise, die Bedürfnisse und Vorstellungen der jeweiligen Akteure im Vordergrund standen, sogar Abtreibungen möglich waren und Umgangsverbot sowie germanisierungs- und biopolitische Ziele und in den Hintergrund rückten. In der hier beantragten Fortsetzung der Förderung werden polnisch-jüdische Hebammen als Akteure, ihre Handlungsmöglichkeiten und Interaktionen mit ihrer Klientel sowie ihrer nicht-jüdischen Umwelt fokussiert. Polnisch-jüdische Hebammen wurden von der Geburtshilfe bei nicht-jüdischen Frauen ausgeschlossen. Mit zunehmender sozialer Exklusion und Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung verengten sich die Interaktionsmöglichkeiten mit der nicht-jüdischen Umwelt. Die Fokussierung polnisch-jüdischer Hebammen ermöglicht es, zu einer, wie Saul Friedländer es nennt, integrierten Geschichtsschreibung des Holocaust für den Bereich von Geburt und Reproduktion beizutragen und die höchst divergenten und widersprüchlichen Erfahrungen und Perspektiven von deutschen, polnischen und jüdischen Hebammen im Raum des Warthegaus zusammen zu bringen.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
Internationaler Bezug Großbritannien
Kooperationspartnerinnen / Kooperationspartner Professorin Dr. Elizabeth Harvey; Professor Dr. Johannes Hürter
 
 

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