Die Rolle interpersonaler politischer Kommunikation im Medienwirkungsprozess
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Ausgangsfrage des Projekts bildete eine der zentralen Fragen der Medienwirkungsforschung: Verstärkt oder schwächt interpersonale politische Kommunikation Wirkungen der aktuellen Berichterstattung der Massenmedien? Anzunehmen war, dass interpersonale Kommunikation Medienwirkungen verstärkt, wenn die Interaktionsteilnehmer Medieninhalte, die sie rezipiert haben, weitgehend unverändert an andere weitergeben. Dass interpersonale Kommunikation Medienwirkungen schwächt, war hingegen zu erwarten, wenn die Interaktionsteilnehmer sie bei der Weitergabe an andere stark abwandeln. Die entscheidende Größe für die Bestimmung der Rolle interpersonaler Kommunikation im Medienwirkungsprozess ist folglich die inhaltliche Schnittmenge zwischen den Inhalten der Medienberichterstattung und jenen interpersonaler Kommunikation. Um sie zu ermitteln, setzte das vorliegende Projekt auf die Kombination (1) einer verdeckten Feldbeobachtung von Alltagsgesprächen im öffentlichen und privaten Raum mit (2) einer direkt daran anschließenden Befragung der beobachteten Gesprächsteilnehmer sowie (3) eine Analyse von Medieninhalten, die im Beobachtungszeitraum in der Berichterstattung salient waren oder in den beobachteten Gesprächen häufig vorkamen. Als ein wesentlicher Erfolg des Projekts kann bereits die Realisierung der empirischen Studie herausgestellt werden, die unter Fachkollegen bis dato als unmöglich galt. Mit einem 40-köpfigen Team gelang es, im Frühjahr 2016 in je einer mittelgroßen westdeutschen und ostdeutschen Stadt insgesamt 2.573 Gespräche in Gaststätten, Zügen, Mensen und im privaten Wohnraum zu beobachten, die die Untersuchungspersonen nach dem Debriefing für die Datenanalyse freigaben. 1.903 Gesprächsteilnehmer nahmen auch an der Anschlussbefragung teil. Zusätzlich wurden 1.149 Beiträge der in den beiden Städten reichweitenstärksten tagesaktuellen Medien zu relevanten Gesprächsthemen (u.a. europäische Flüchtlingskrise, US-Präsidentschaftswahl 2016, Panama Papers, Böhmermann-Affäre) analysiert. Mit Blick auf die zukünftige Realisierung vergleichbarer Studien erwiesen sich folgende Punkte als zentral: (1) Die Anlage des Untersuchungsdesigns und die Erstellung der Messinstrumente erfordern ein hohes Maß an praktischer methodischer Vorerfahrung und Kreativität, da es kaum vergleichbare Studien gibt. (2) Das Beobachterteam muss ausreichend groß sein, die Beobachter müssen sich mental zur Durchführung verdeckter Forschung in der Lage fühlen. Befürchtungen der Beobachter – die sich im Feld überwiegend zerstreuten, auf die in Schulungen aber unbedingt ausführlich einzugehen ist – sind u.a. ihre vorzeitige Enttarnung und aggressive Reaktionen der Untersuchungspersonen auf das Debriefing. (3) Die Vorbereitung der Feldphase ist sehr zeitintensiv und erfordert große Sorgfalt. Die Beobachter müssen umfassend geschult werden, nicht nur in der Verschlüsselung der Gespräche in Echtzeit. Der Erfolg verdeckter Forschung hängt maßgeblich von der Bereitschaft der Untersuchungspersonen zur Freigabe ihrer Daten und damit von der Kontaktaufnahme und dem Debriefing durch die Beobachter ab. (4) Die Feldphase ist sehr zeitintensiv und erfordert große Sorgfalt. Allen Beobachtern muss in der gesamten Feldphase fortwährend und zeitnah Rückmeldung gegeben werden – nur so können falsche und fehlende Einträge in den Beobachtungsschemata aus der Erinnerung heraus korrigiert werden. Die vorliegende Feldbeobachtung von Alltagsgesprächen ergab, dass sich Menschen mit ihrem Partner, mit Freunden, Verwandten oder Arbeitskollegen in den meisten Fällen über private Themen unterhalten. Über öffentliche Themen ging es in 41 Prozent, um politische Themen nur in 6 Prozent der beobachteten Gespräche (n=2.573). Massenmedien sind im Zusammenhang mit öffentlichen Themen in der Alltagskommunikation präsent: In Verbindung mit 14 Prozent aller öffentlichen Gesprächsthemen (n=7.243) verwiesen die Gesprächsteilnehmer mindestens einmal auf Massenmedien bzw. deren Inhalte, in Verbindung mit politischen Themen (n=275) referierten sie sogar in fast jedem zweiten Fall auf Medieninhalte (n=134). Mit Blick auf die Ausgangfrage konnte festgestellt werden, dass die Gesprächsteilnehmer politische Medienverweise im Unterschied zu Verweisen auf andere, etwa unterhaltende Medieninhalte, häufiger einsetzen, um ihre Interaktionspartner von ihrer persönlichen Sichtweise zu überzeugen (29% politische Medienverwiese vs. 14% andere Medienverweise mit persuasiver Funktion). Dies deutet darauf hin, dass der Raum für soziale Einflüsse auf politische Medienwirkungen besonders groß ist. Ob Menschen Medienverweise zu Persuasionszwecken einsetzen, hängt maßgeblich davon ab, ob sie in Verbindung mit einem Gesprächsthema die Rolle des Meinungsführers einnehmen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2015). Ethical standards of covert observations. 65th ICA Annual Conference “Communication Across the Life Span”, San Juan, Puerto Rico, 21.-25.05.2015
Geise, S., & Podschuweit, N.
- (2015). Ethische Maßstäbe verdeckter Beobachtungen. 60. Jahrestagung der DGPuK „Verantwortung – Gerechtigkeit – Öffentlichkeit. Normativität in den Medien und in der Kommunikationswissenschaft“, Darmstadt, 13.-15.05.2015
Podschuweit, N., & Geise, S.
- (2016). Kommunikationswissenschaftliche Forschungsethik im internationalen und interdisziplinären Vergleich. In P. Werner, L. Rinsdorf, T. Pleil & K.-D. Altmeppen (Hrsg.), Verantwortung – Gerechtigkeit – Öffentlichkeit. Normativität in den Medien und in der Kommunikationswissenschaft (S. 395-419). Konstanz: UVK
Döveling, K., Sommer, D., Podschuweit, N., Geise, S., & Roessing, T.
- (2016). Media influence on interpersonal communication. In P. Rössler, C. Hoffner & L. van Zoonen (Hrsg.), The International Encyclopedia of Media Effects (S. 791- 802). Chichester, West Sussex; Malden, MA: John Wiley & Sons
Podschuweit, N.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1002/9781118783764.wbieme0137) - (2017). Measuring interpersonal political communication: Methodological and ethical challenges. 70th WAPOR Annual Conference “Public Opinion and Policy-making”, Lissabon, Portugal. 15.-17.07.2017
Podschuweit, N., Biermann, K., Struck, F., & Wiedicke, A.
- (2018). Capturing interpersonal political communication. 71st WAPOR Annual Conference “Public Opinion Research in a Changing World”, Marrakesch, Marokko. 27.-30.06.2018
Podschuweit, N.