Ladakh: Die Hervorbringung eines kulturellen Erbes Identitätspolitische und pädagogische Einsätze im Kontext der Vermarktungsbedingungen eines zunehmenden Tourismus
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Vergangene Lebensformen und Praktiken sind nicht für jeden wertvoll: Damit sie als kulturelles Erbe, als bedeutsam für die eigene kollektive Identität gesehen werden, müssen sie überhaupt als wertvoll und zugleich als für alle ‚Erben‘ wertvoll identifiziert werden. Diese In-Wert-Setzung der identitätsstiftenden Vergangenheit unterliegt einer doppelten Repräsentationsproblematik. Sie muss mit einem problematisch bleibenden Geltungsanspruch identifiziert werden; und sie muss zugleich behaupten, dass sie das im Namen aller Betroffenen tut – auch wenn diese das nicht so sehen mögen oder wenn es konkurrierende Angebote gibt. So beansprucht die Ladakh Buddhist Association (LBA) für die kulturelle Identität der Ladakhi zu sprechen, was nur möglich ist, wenn der Anteil der Muslime an dieser Identität zugleich integriert und ausgeschlossen wird. Die postulierte kulturelle Identität läuft so auf eine religiöse Segregation hinaus, die selbst wiederum den Anspruch der LBA, im Namen aller Ladakhi zu sprechen, relativiert. Dass die Buddhisten eben zugleich nur eine Religion unter anderen bilden, bildet den Einsatzpunkt für subversive Diskursstrategien der muslimischen Organisationen. Diese erkennen die buddhistische Hegemonie einerseits an, aber wenden ihre eigene Unterlegenheit durch die Betonung der religiösen Segregation auf die Buddhisten aus: Es ist der Signifikant der gemeinsamen Kultur, bezogen auf den nun die Unterschiedlichkeit der (und zwar aller) Religionen zweitrangig erscheint. Die diskursiven Strategien und Positionierungen rufen dabei zugleich kulturelle, religiöse Rhetoriken auf. Zugleich lassen sich aber – auf Seiten der Muslime – nicht nur anti-hegemoniale, sondern auch zentrifugale Strategien beobachten, die die religiöse Gemeinschaft über die kulturelle Einheit stellen. Betrachtet man die vielfältigen Einsätze der Nichtregierungsorganisationen zur Erhaltung, Restaurierung, Wiederbelebung oder auch behutsamen Entwicklung des kulturellen Erbes, so rücken zwei andere Gesichtspunkte in den Vordergrund. So unterschiedlich die Ansatzpunkte auch sein mögen, so wird doch hier der pädagogische Gesichtspunkt bedeutsam. Die Menschen müssen an die eigenen Programmatiken, an die jeweilige Bedeutung eines kulturellen Erbes herangeführt werden: Sie müssen dazu gebracht werden, den Anspruch der NGOs, in ihrem Namen zu sprechen, erst noch autorisieren – wozu Aufklärungsinitiativen, Partizipationen oder Finanzierungshilfen angeboten werden. Das Problem der Autorisierung hängt nicht zuletzt mit dem zweiten Gesichtspunkt zusammen: Die In-Wert-Setzung des jeweiligen kulturellen Erbes findet immer schon im Rahmen internationaler Diskurse des Zu-Bewahrenden und damit auch: finanziell zu Fördernden statt. Diese Diskurse (Ökologie, Nachhaltigkeit lokalen Wirtschaftens, Frauenförderung, Kulturerbe usw.) werden zwar lokal spezifiziert, aber ihre Perspektive deckt sich nicht notwendig mit dem, was die lokale Bevölkerung bevorzugen würde. Es sind vornehmlich Privatschulen, die sich (neben dem vorgeschriebenen Curriculum) die Wahrung des kulturellen Erbes vorgenommen haben. Da diese Schulen – auch wenn sie eine professionelle Internet-Akquise von Fördermitteln betreiben – in religiöser Trägerschaft existieren, drohen sich hier die Konflikte zwischen den Religionsgemeinschaften in veränderter Form zu wiederholen. So geht die buddhistische Schule, die sich der Aufgabe mit Hilfe eines Projektunterrichts nähert, wie selbstverständlich von einer buddhistischen Identität Ladakhs aus. Die islamische Schule verortet sich in den analysierten Interviews unterschiedlich: Sie versucht, den buddhistischen Alleinvertretungsanspruch dadurch zu konterkarieren, dass sie ihre Traditionsauffassung als zugleich religiös fundiert, aber doch auf eine allgemein-menschliche (und nicht nur buddhistische) Moral hinweisend akzentuiert. Zugleich aber gibt es die Auffassung, dass man diese Universalität nur in der eigenen Religion und nicht in der Kultur (Ladakhs) finden könnte.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Das geteilte kulturelle Erbe: identitätspolitische Diskurse und pädagogische Einsätze. Velbrück, Weilerswist-Metternich 2019. 249 S.
Schäfer, Alfred
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Ursprung und/oder Konstitution. Von der doppelten Problematik der Zugehörigkeit. In: Rieger-Ladich, Casale und Thompson, Un-/Zugehörigkeit, ISBN 978-3-7799-6057-7, Weinheim 2020, Beltz Juventa, S. 142 - 157
Schäfer, Alfred