Mehrfachgleiten in der Kontinuumsversetzungsdynamik: Versetzungsreaktionen, Quergleiten und Quellbildung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die plastische Verformung von Kristallen ist bis heute ein erstaunlich unvollständig verstandenes Gebiet der angewandten Physik. Es ist seit den 1930er Jahren bekannt, dass die plastische Verformung von Kristallen in erster Linie durch die Bewegung von linienhaften Kristalldefekten, den Versetzungen, hervorgerufen wird. Mikroskopisch ist darüber mittlerweile sehr viel bekannt, aber die Kontinuumsgleichungen mit denen die plastische Verformung üblicherweise mathematisch beschrieben wird, nimmt in der Regel keinen Bezug auf diese mikroskopischen Vorgänge. Solche rein phänomenologischen Theorien sind für die Behandlung von plastischen Verformungen auf kleinen Skalen ungeeignet. Es gibt daher seit etwa zwei Jahrzehnten intensive Forschungen dazu, wie Plastizitätsgesetze basierend auf Kontinuumsformulierungen der Versetzungsbewegung aufgbaut werden können. Ein vielversprechender Ansatz ist die sogenannte Kontinuumsversetzungsdynamik, die der Antragsteller in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern begründet hat. Im vorliegenden Projekt konnten die vorhandenen Entwicklungsgleichungen der Kontinuumsversetzungsdynamik in bestehende Programmpakete implementiert und damit einer numerischen Lösung auch komplexer mechanischer Fragestellungen zugänglich gemacht werden. Die Entwicklungsgleichungen und ihre Implementierung wurde anhand von Vergleichen mit sogenannten diskreten Versetzungssimulationen, in denen die Bewegung der Versetzungslinien in einem elastischen Medium direkt simuliert wird, an der Biegung von Mikrobalken validiert. Das vorliegende Projekt hat die Kontinuumsversetzungsdynamik auch in theoretischer Hinsicht in mehrfacher Weise weiterentwickelt. Einerseits wurde erkannt, dass die bestehenden Gleichungen die Erhaltung der Anzahl von Versetzungsschleifen im Kristall widerspiegeln. Andererseits wurden tensorielle Dichtevariablen definiert, die eine detailliertere Beschreibung des aktuellen Versetzungszustands im Kristall und damit auch seiner plastischen Verformung erlauben. Die tensoriellen Variablen stehen in Beziehung zu konkurrierenden versetzungsbasierten Kontinuumsansätzen, können jedoch deren Defizite hinsichtlich der geometrischen Beschreibung der Versetzungsentwicklung überwinden. Neben der Kinematik der Versetzungsentwicklung konnte auch die Beschreibung der Kinetik, also der konstitutive Zusammenhang der Bewegung der Versetzungen mit im Kristall vorliegenden Spannungen, deutlich verbessert werden. Dazu bedient sich die Modellierung eines thermodynamischen Prinzips, welches die Entwicklung physikalischer Systeme als durch eine möglichst schnelle Abnahme der gespeicherten Energie getrieben ansieht. Die aus diesem Prinzip hergeleiteten konstitutiven Gleichungen enthalten einerseits Terme, die mit anderen Methoden für stark vereinfachte Systeme erhaltene Terme verallgemeinern und andererseits neuartige Terme, die derzeit weiter untersucht werden. Weiterhin wurde ein Konzept aus der Magnetfeldtheorie adaptiert, und so ein Maß für durch Versetzungsschneidprozesse entstehende Sprünge in Versetzungen erhalten.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
-
2015. Multipole expansion of continuum dislocations dynamics in terms of alignment tensors. Philos. Mag. 95 (12), 1321–1367
Hochrainer, T.
-
2016. Relative helicity and jog densities in continuum descriptions of dislocations. MRS Advances 1, 1847 – 1852
Hochrainer, T.
-
2016. Thermodynamically consistent continuum dislocation dynamics. J. Mech. Phys. Solids 88, 12 – 22
Hochrainer, T.
-
2016. Three-dimensional continuum dislocation dynamics simulations of dislocation structure evolution in bending of a micro-beam. MRS Advances 1, 1791–1796
Ebrahimi, A., Hochrainer, T.