Vom Know-how zum Know-who: Reflexives Management interpersoneller Wissensnetzwerke auf Social Networking Sites
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In der wirtschaftsgeographischen Analyse von Lern- und Innovationsprozessen ist die Bedeutung von interpersonellen Wissensnetzwerken jüngst prominent gewürdigt worden. Wenig Beachtung hat dabei allerdings die Tatsache erfahren, dass interpersonelle Vernetzung im erheblichen Maße mit der Hilfe von internet-basierten Technologien erfolgt. Das Forschungsprojekt nimmt diese Forschungslücke zum Ausgangspunkt und fokussiert einen spezifischen Anwendungsbereich des Internets. Social Networking Sites (SNS) wie LinkedIn, Twitter oder Facebook werden auch in professionalen Kontext zunehmend zum Aufbau und zur Pflege von Beziehungen eingesetzt. Davon ausgehend, dass SNS kein neutrales Medium sind, zielt das Forschungsprojekt darauf ab zu untersuchen, wie die Ausbreitung von SNS Praktiken interpersoneller Vernetzung sowie die Struktur und Geographie von interpersonellen Wissensnetzwerken verändert. Um diese Veränderungen analytisch zu fassen, greift das Forschungsprojekt das Konzept der Performativität (Callon, 1998) auf und argumentiert, erstens, dass die zunehmende Durchdringung sozialer Praxis mit Technologie dazu führt, dass Handeln stärker an (wissenschaftlich erzeugten) Modellen und Theorien ausgerichtet wird. Bestimmte Annahmen über die Funktionsweise und Entwicklung von sozialen Netzwerken sind in die Architektur und die Algorithmen von SNS eingeschrieben und beeinflussen das Verhalten von NutzerInnen. Zweitens führen SNS dazu, dass interpersonelle Netzwerkbildung zunehmend reflexiv wird. Netzwerkbildung ist nicht mehr nur das beiläufige Sammeln von Geschäftskontakten, sondern wird zunehmend gemanagt: SNS erlauben es, so die Annahme, Know-who bewusst aufzubauen und Sozialkapital strategisch in Wert zu setzen. Empirisch untersucht das Forschungsprojekt Vernetzungspraktiken in den Gründermilieus zweier Zentren der Internet-Industrie: das Silicon Valley und Berlin. Anhand einer Analyse von SNS sowie explorativer Interviews mit GründerInnen, ManagerInnen und ProgrammiererInnen kommt das Forschungsprojekt zu folgenden zentralen Ergebnissen. SNS sind mittlerweile stark in die Praxis interpersoneller Netzwerkbildung integriert; ihre Nutzung ist zu Routine geworden. Reflexiv gesteuert wird vor allem der Aufbau von Beziehungen. Die gängigen Selektionskriterien entsprechen allerdings bekannten Mustern der Netzwerkentwicklung: räumliche und relationale Nähe sowie Ähnlichkeit sind zentral. Entsprechende Prinzipien bestimmen auch die Architektur und die Algorithmen von SNS. LinkedIn als wichtigste SNS in den untersuchten Milieus sortiert Informationen und Vernetzungsvorschläge nach eben jenen Kriterien und verstärkt damit ihre Wirkung. SNS tragen so dazu bei, Konnektivität zu erhöhen. Es entstehen dichte, relativ stark lokalisierte Informationsnetzwerke. Vereinzelt konnten allerdings Nutzungspraktiken identifiziert werden, die dem Einfluss von Algorithmen auf Vernetzung bewusst entgegengesetzt sind. Eine strategische Steuerung von Vernetzungsprozessen konnte vor allem bei zentralen Akteuren der untersuchten Gründermilieus identifiziert werden. Sie machen sich die Möglichkeit zunutze, den Grad ihrer Zugänglichkeit über SNS differenziert zu steuern. Gleichzeitig ermöglichen es SNS, in der Vergangenheit geknüpfte Beziehungen zu reaktivieren. Trotz hoher räumlicher und interorganisationaler Mobilität in den untersuchten Gründermilieus entstehen so Sub-Netzwerke, die die Ressourcenallokation maßgeblich beeinflussen. Das Forschungsprojekt verweist schließlich auf die zunehmend einflussreiche Rolle der Anbieter von SNS. Die Geschäftsmodelle der „Platform-Provider“ beeinflussen nicht nur Nutzungspraktiken direkt; sie prägen auch die Struktur und Geographie von Netzwerken und damit den Transfer und die Produktion von Wissen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- 2017. Performing Network Theory? Reflexive Relationship Management on Social Network Sites. In: Hollstein, B., Matiakse, W., Schnapp, K.-U. (Hg.): Networked Governance. New Research Perspectives. Berlin: Springer Publishers
Grabher, G., König, J.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-319-50386-8_8)