Hängt die Validität von Personenbeurteilungen von der affektiven Beziehung zwischen urteilender und beurteilter Person ab?
Sozialpsychologie und Arbeits- und Organisationspsychologie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Tatsache, dass Persönlichkeitsmerkmale das Verhalten von Personen vorhersagen, und dass dieses Verhalten bedeutsame Konsequenzen für diese Personen („Targets“) und deren soziales Umfeld haben kann, ist einer der wichtigsten Gründe dafür, dass Persönlichkeitsforschung überhaupt betrieben wird. In den meisten Studien werden die Targets gebeten, ihre eigene Persönlichkeit einzuschätzen, und außerdem andere („Informanten“) zu rekrutieren, die ebenfalls solche Einschätzungen abgeben können. Es konnte gezeigt werden, dass auf diese Weise rekrutierte Informanten den Personen, von denen sie rekrutiert wurden, in der Regel sehr nahestehen. Das kann einerseits Vorteile im Hinblick auf die Informiertheit solcher Informanten haben, könnte aber auch problematisch sein, wenn solche Informanten bestimmte (insbesondere negativere) Persönlichkeitsaspekte der Targets aus Loyalität oder Voreingenommenheit übersehen oder nicht berichten. Die von uns durchgeführte Studie verglich daher das Ausmaß, in dem klassische Selbst- und Informantenurteile tatsächlich zukünftige Ereignisse im Leben der Targets vorhersagen, mit dem Ausmaß, in dem dies auch Urteile von Informanten tun, über deren Auswahl die Targets keine Kontrolle haben. Diese letzteren Informanten wurden aus bestehenden universitären Gruppen (z.B. Seminare) gewonnen, denen auch die Targets angehörten. Zunächst wurden in einem so genannten „One-with-many“ Design Beschreibungen der Targets durch alle genannten Typen von Beurteilern eingeholt. Neben klassischen Persönlichkeitsskalen kamen dabei auch „direkte“ Vorhersagen zum Einsatz (d.h. es sollte eingeschätzt werden, wie wahrscheinlich es ist, dass sich im Leben des Targets im Laufe des kommenden Jahres bestimmte Dinge ereignen würden). Eine sehr umfassende Liste solcher Ereignisse hatten wir basierend auf früheren Studien zusammengetragen. Etwa ein Jahr später wurde dann erfragt, was sich tatsächlich zugetragen hatte. Solche „längsschnittlichen“ Forschungsdesigns, in denen Vorhersagen mit realen Ereignissen verglichen werden, die relativ weit in der Zukunft liegen, sind in dieser Forschung eher selten. Die Ergebnisse waren eindeutig: Über die verschiedenen Beurteilungsarten hinweg zeigte sich, dass zutreffende Vorhersagen zukünftiger Ereignisse tatsächlich möglich waren. Dabei war das Niveau der Vorhersagegüte allerdings eher moderat, was sich durch die größere methodische Strenge unserer Studie im Vergleich mit den meisten Vorgängerstudien erklären lässt. „Direkte“ Vorhersagen seitens der Targets und der von ihnen ausgewählten Informanten erlaubten mit Abstand die besten Vorhersagen. Dies ist einerseits auf die genaue inhaltliche Passung zwischen vorhersagenden und vorhergesagten Variablen zurückzuführen, andererseits (wahrscheinlich) auf ein besonders hohes Ausmaß an Informiertheit dieser beiden Beurteilertypen (z.B. auch über andere, nicht persönlichkeitsbezogene Faktoren im Leben der Targets). In Übereinstimmung mit früherer Forschung erlaubten breitere Persönlichkeitsbeurteilungen ebenfalls zutreffende Vorhersagen zukünftiger Ereignisse im Leben der Targets, jedoch in geringerem Ausmaß. Die von uns auf „alternativem“ Weg rekrutierten Informanten machten Vorhersagen, die zwar ebenfalls besser waren als der Zufall, aber deutlich weniger akkurat als alle anderen. Mehrebenen-Analysen zeigten, dass (a) bessere subjektive Informiertheit („Kennen“) tatsächlich mit genaueren Vorhersagen einherging, dass (b) die Urteiler bestimmte Erlebnisse umso mehr vorhersagten, je positiver diese Erlebnisse eingeschätzt wurden („Positivitätsbias“), und dass (c) dies umso mehr der Fall war, je mehr die Urteiler die Targets mochten. Wir fanden hingegen keine Belege dafür, dass die typischerweise besonders große Nähe zwischen auf klassischem Wege rekrutierten Informanten und „ihren“ Targets die Urteilsfähigkeit dieser Informanten im Hinblick auf zukünftige Erlebnisse der Targets trübt. Dies kann als „gute Nachricht“ im Hinblick auf das übliche Vorgehen in diesem Forschungsfeld gewertet werden: Unter den Informationsquellen, deren Vorhersagegüte wir verglichen, stellten sich diejenigen als am besten heraus, die am leichtesten zu rekrutieren sind.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2016). Toward a shared understanding of important consequences of personality. Review of General Psychology, 20, 426–436
Wessels, N. M., Zimmermann, J., & Leising, D.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1037/gpr0000088) - (2020). Differential associations of knowing and liking with accuracy and positivity bias in person perception. Journal of Personality and Social Psychology, 118, 149-171
Wessels, N. W., Zimmermann, J., Biesanz, J. C., & Leising, D.
(Siehe online unter https://doi.org/10.17605/OSF.IO/5DG94)