Institutionelle Rahmung familialer Pflege zwischen Marktlogik und Familiensolidarität - Bedingungen für institutionelle Inkomplementarität
Final Report Abstract
Das Forschungsprojekt FAMICAP ("Institutionelle Rahmung familialer Pflege zwischen Marktlogik und Familiensolidarität") hatte zum Ziel, internationale Differenzen in den wohlfahrtsstaatlichen Pflegepolitiken zur familialen Pflege und zur extra-familialen Pflege in europäischen Wohlfahrtsstaaten, deren Ursachen und Folgen zu untersuchen. Dabei wurde der theoretische Ansatz des "Care Arrangement" zugrunde gelegt. Dieser Ansatz bezieht systematisch die kulturelle Dimension in die Erklärung der Ursachen, internationalen Differenzen und Folgen von Pflegepolitiken ein und geht von einer relativen Autonomie und einer potentiellen Widersprüchlichkeit im Verhältnis von Kultur und Institutionen aus. Dabei wird die Rolle von Konflikten und Aushandlungsprozessen zwischen unterschiedlich machtvollen Akteuren betont. Auf der Grundlage konnte die Forschung in dem Projekt relevante, innovative Beiträge zur internationalen Theoriebildung und Forschung im Bereich der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung und speziell auch der international vergleichenden Forschung zur Pflegepolitik und zum Verhalten älterer Menschen in deren Kontext leisten. Die Erklärung internationaler Differenzen in der Vermarktlichung in den Pflegepolitiken Das Projekt hat untersucht, wie sich internationale Differenzen im Grad der Vermarktlichung in den Pflegepolitiken erklären lassen, mit Bezug auf das Konzept von "Consumer Choice". Die Ergebnisse zeigen, dass kulturelle Faktoren maßgeblich zur Erklärung von Differenzen im Grad der Vermarktlichung in den Pflegepolitiken beitragen. Dabei besteht offenbar nicht notwendigerweise eine enge Verbindung zwischen der politischen Ausrichtung von Parteien einer Regierung und den kulturellen Ideen zur Vermarktlichung von Pflege. Das Projekt hat weiter untersucht, wie sich internationale Differenzen in der wohlfahrtsstaatlichen Ausgestaltung der öffentlichen Bezahlung für die Pflege durch Familienangehörige erklären lassen. Der internationale Vergleich ergab, dass die öffentliche Bezahlung für die Pflege durch Familienangehörige verschiedene Formen hat und dabei auf unterschiedlichen Logiken beruht. Dabei beruhen diese auch auf unterschiedlichen Konzepten dazu, inwieweit es sich bei der familialen Pflege um eine Form von "Arbeit" handelt. Wir haben Anhaltspunkte dafür gefunden, dass kulturelle Differenzen, insbesondere Differenzen in den religiösen Grundlagen der jeweiligen Gesellschaften, anscheinend zur Erklärung der Differenzen beitragen. Dagegen spielen Differenzen im Typ des Wohlfahrtsregimes oder Differenzen in der Generosität der Bezahlung erkennbar keine Rolle für die Erklärung. Diese Forschung wird fortgeführt. Ein neuer Ansatz zum theoretischen Verständnis des Zusammenhangs zwischen den Politiken zur familialen und den Politiken zur extra-familialen Pflege. In der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung ist es üblich anzunehmen, dass sich wohlfahrtsstaatliche Pflegepolitiken gegenüber der Pflege zwischen den Polen "Förderung der familialen Pflege" und "Förderung der extra-familialen Pflege" einordnen lassen. Demgegenüber legten wir die Annahme zugrunde, dass es sich in beiden Fällen um zwei verschiedene Arten von Politiken handelt, die von den Wohlfahrtsstaaten durchaus in unterschiedlicher Art und Weise miteinander kombiniert werden, je nach den komplexen wohlfahrstaatlichen Zielen, die mit der Pflege verbunden werden. Diese Annahme wurde durch die international vergleichende Analyse des Zusammenhangs zwischen der Pflegepolitik zur familialen Pflege und der Pflegepolitik zur extra-familialen Pflege unterstützt. Mit dem üblichen Vorgehen in der Pflegeforschung, die Pflegepolitiken nach ihrem familialisierenden/de-familialisierenden Charakter zu klassifizieren, ist oft die Annahme verbunden, dass de-familialisierende Pflegepolitiken die Gleichstellung der Geschlechter fördern, während familialisierende Politiken zur Aufrechterhaltung traditioneller Formen der Ungleichheit im Geschlechterverhältnis und der geschlechtlichen Arbeitsteilung dienen. Auf der Grundlage der neuen Erkenntnis des Projekts, dass es sich in beiden Fällen um verschiedene Politiken handelt, die in unterschiedlicher Weise miteinander kombiniert werden, ergeben sich auch Implikationen für die Folgen in Bezug auf die Gleichstellung im Geschlechterverhältnis. Es wurde gezeigt, dass die Gleichstellung am ehesten gefördert wird, wenn sowohl die Pflegepolitik zur familialen Pflege als auch die Pflegepolitik zur extrafamilialen Pflege einen hohen Grad der Generosität aufweisen. Zur Bedeutung kultureller Ideen für das Wahlverhalten älterer Menschen im Kontext der Pflegepolitiken Es wurde weiter untersucht, welches die Grundlage für das Wahlverhalten älterer pflegebedürftiger Menschen zwischen der extrafamilialen und der familialen Pflege ist. Dabei wurde eine gängige Annahme in Frage gestellt, der zufolge das Verhalten gegenüber der Pflegepolitik unmittelbar durch die pflegepolitischen Regelungen determiniert wird. Auf der Grundlage dieser Annahme ist es üblich, die Generosität der Pflegepolitik allein anhand des Anteils derjenigen Pflegebedürftigen zu messen, die extra-familiale Pflege in Anspruch nehmen. Das Projekt legte demgegenüber die Annahme zugrunde, dass die in der Bevölkerung eines Landes vorherrschenden kulturellen Werte zur 'idealen' Art der Pflege neben institutionellen Anreizen einen wesentlichen Beitrag zur Erklärung der Differenzen leisten, und dass das Wahlverhalten zwischen Pflege durch Familienangehörige und Pflege durch ambulante Pflegedienste weiter auch durch strukturelle und ökonomische Faktoren beeinflusst wird. Die Ergebnisse des internationalen Vergleichs statistischer Daten und der Auswertung der 120 teilstandardisierten problemzentrierten Interviews, die wir vergleichend in Deutschland und Österreich durchgeführt haben, stützen diese theoretischen Annahmen. Derzeit arbeiten wir noch an der weiteren Auswertung der Interviews. Inkohärenzen zwischen kulturellen und institutionellen Grundlagen der Pflege und ihre sozialen Wirkungen Da die Art und Weise, in der die Pflegepolitik die Pflege älterer Menschen unterstützt, nicht notwendigerweise mit den Erwartungen an eine "gute" Pflege übereinstimmen, die auf der Grundlage kultureller Ideen zur Pflege in der Bevölkerung vorherrschen, kann es zu vielfältigen Spannungen in den individuellen Pflege-Arrangements kommen. Wir sind noch dabei, die sozialen Folgen solcher Inkohärenzen auf der Grundlage der Auswertung der 120 Interviews zu analysieren. Variationen des Konzepts der "aktiven" Sozialbürgerschaft und die wohlfahrtsstaatlichen und kulturellen Grundlagen ihrer Nutzung Es wurde weiter untersucht, wie sich der Wandel der Pflegepolitiken in den allgemeinen Wandel in Richtung einer "aktiven Sozialbürgerschaft" einordnen lässt. Dabei gingen wir der forschungsleitenden Annahme nach, dass unterschiedliche Typen von Wohlfahrtsstaaten unterschiedliche Varianten des Konzepts nutzen. Dafür entwickelten wir eine neue theoretische Klassifikation für verschiedene Typen von Politik-Konzepten zur "aktiven Sozialbürgerschaft". Dabei haben wir gezeigt, dass nicht nur Differenzen in den Typen von Wohlfahrtsregimen, sondern auch kulturelle Differenzen zur Erklärung der Unterschiede beitragen. Insgesamt konnte das Forschungsprojekt damit wichtige neue Anstöße für die internationale Theoriebildung und Forschung liefern.
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