Historisieren. Etablierung eines Kulturmusters in Schillers Geschichtsdramen und deren Aneignung in Theater und Schule des 19. Jahrhunderts
Theater- und Medienwissenschaften
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt hat untersucht, wie sich das im 18. Jahrhundert entstandene moderne historische Denken in Bühneninszenierungen und -aufführungen sowie in der schulischen Interpretation von Schillers ‚historischen‘ Dramen niederschlägt. In diesem Rahmen ist eine quellengestützte Untersuchung entstanden, in der die Etablierung, Bedeutung und Funktion der historisierenden Inszenierungspraxis anhand paradigmatischer Wallenstein-Inszenierungen und Aufführungen von 1799 bis zum Ersten Weltkrieg beleuchtet wird. Im Zentrum stehen fünf Wallenstein-Produktionen mit Fokus auf die Theaterstadt Berlin: 1. Die Uraufführung am Weimarer Hoftheater (1798/99); 2. A. W. Ifflands Inszenierung am Berliner Nationaltheater (1799); 3. Carl Graf von Brühls Neueinstudierung am Berliner Königlichen Schauspielhaus (1819); 4. Die Produktion des Meininger Hoftheaters (1881/82) und ihre Gastspielaufführungen in Berlin (1882); 5. Max Reinhardts Inszenierung am Berliner Deutschen Theater (1914). Anhand von bis dato nur teilweise erschlossenem Text- und Bildmaterial – Bühnenfassungen, Bühnenbild- und Kostümentwürfen, szenischen Fotografien, Rollenfotografien, Rollenporträts und Rezensionen – zeigt die Studie erstens, wie sich das Historisieren im Verlauf des 19. Jahrhunderts in der Bühnenpraxis durchsetzt – eine Entwicklung, die gegen Ende des Jahrhunderts in der historisch-illusionistischen Kostüm- und Dekorationstreue des Meininger Hoftheaters gipfelt. In diesem Zuge wird verdeutlicht, dass für das Historisieren die Spannung zwischen Historisierungssignalen und Vergegenwärtigungstechniken konstitutiv ist. Zweitens wird illustriert, welche (divergierenden) Bedeutungen und Funktionen das szenische Gestaltungsmittel für die theaterästhetischen Konzepte und die Inszenierungspraxis exemplarischer Theaterschaffender besitzt und inwiefern es die Wahrnehmungs- und Bewertungspraktiken der Rezipienten prägt. Drittens wird dargestellt, dass die Durchsetzung des Historisierens auf der Bühne mit der Festschreibung einer Ikonographie der Wallenstein-Figur korreliert. Viertens wird insbesondere mit Blick auf die Meininger und M. Reinhardt nachgewiesen, dass es Korrelationen gibt zwischen der Bedeutung, die die Theaterschaffenden dem Historisieren zuweisen, und ihrer Um- und Ausdeutung der Wallenstein-Trilogie. Schließlich wird die Aufführungsgeschichte der Wallenstein-Trilogie profiliert. Im Rahmen des Projekts entsteht ferner eine kommentierte Quellenedition der bislang selten ausgewerteten Schulprogramme. Die im 18. Jahrhundert entstandene und bis zum Ersten Weltkrieg weit verbreitete Publikationsform enthält Schulnachrichten, Lehrpläne, Prüfungsaufgaben und häufig eine wissenschaftliche Abhandlung. Die Schriften geben Aufschluss über gesellschaftliche Werte und Normen sowie die Interpretation, pädagogische Vermittlung und ideologische Vereinnahmung von Schillers Werken. Der Fokus liegt auf der Herausgabe von Schillerreden, in denen folgende Themen von zentraler Bedeutung sind: 1. die Erörterung, ob Goethe oder Schiller der größere Dichter ist; 2. die Fragen, ob Schiller als Nationalist oder Kosmopolit bzw. als Realist oder Idealist zu werten ist; 3. die Stilisierung Schillers zum Erzieher der Jugend; 4. die vor allem um die Jahrhundertwende breite Diskussion darüber, ob und wenn ja, welche Bedeutung Schillers Texte für die Gegenwart haben.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Die poetische und die historische Wahrheit. Schillers Wallenstein auf der Bühne des 19. Jahrhunderts. In: Schillers Wallenstein, hrsg. von Silke Henke u. Nikolas Immer i. A. des Weimarer Schillervereins e.V. Weimar 2014, S. 37–64
Sandig, Claudia