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Ein hochmittelalterlicher jüdischer Wohn- und Handelskomplex in Erfurt und seine Raumfassung

Fachliche Zuordnung Architektur, Bau- und Konstruktionsgeschichte, Bauforschung, Ressourcenökonomie im Bauwesen
Kunstgeschichte
Förderung Förderung von 2014 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 264547474
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Mehrere hoch- und spätmittelalterliche Gebäude bilden den Wohn- und Handelskomplex am heutigen Benediktsplatz 1 in Erfurt, dem Zentrum des mittelalterlichen Erfurts. Obwohl die Gebäude in den Jahren nach 1990 umfangreich saniert und umgebaut wurden, sind noch an verschiedenen Stellen alte Mauerwerksbereiche, Deckenbalken, Gewölbe und Raumfassungen erkennbar. Während der Sanierungsarbeiten war in einem Obergeschossraum eines Steinbaus eine bemalte Balkendecke entdeckt worden, die sich in die Mitte des 13. Jahrhundert datieren ließ. Die Funktion dieses Raums blieb jedoch ebenso unklar wie die Zusammenhänge zwischen den insgesamt 15 Gebäuden. Vermutet wurde allerdings, dass in dem Quartier zur Zeit der ersten Gemeinde (bis 1349) jüdische Einwohner ansässig waren, hieß eine der entlang des Quartiers laufenden Gassen doch bis ins 15. Jahrhundert platea iudeorum bzw. Judengasse. Im abgeschlossenen Projekt konnte die Baugeschichte dieses heute stark verdichteten Quartiers bis zu den Gründungsbauten des 12. Jahrhunderts zurückverfolgt und geklärt werden. Es zeigte sich eine zunächst lockere Bebauung der anfangs vier Parzellen mit Holz- und Steinbauten, die zunehmend verdichtet wurde. Bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts waren es bereits fünf Steinbauten zuzüglich der Holz- und Nebengebäude, im Jahr 1349, als in einem großen Pogrom die erste jüdische Gemeinde ausgelöscht wurde, waren es zehn Steingebäude nebst Holz- und Nebengebäuden. Bis zum Ende des Mittelalters war das Quartier beinahe vollständig überbaut und hatte im Wesentlichen die heutige Kubatur. Für fast alle Bauphasen konnten über die Gestaltung, Nutzung und Konstruktion der Gebäude hinaus Aussagen zu Raumfassungen getroffen werden. In allen Zeiten waren Wände und Decken gefasst. Neben der reinen Wohnnutzung ergaben sich Hinweise auf ein durch jüdische Bauherren errichtetes Kaufhaus, und, völlig überraschend, der Nachweis eines in der Mitte des 13. Jahrhunderts eingerichteten jüdischen Betraums. Für das gesamte Quartier wurden zudem sämtliche besitzgeschichtlichen Quellen ausgewertet. Dabei entstand auch die mit der Abschlusspublikation vorgelegte vollständige Neuedition des Liber Judeorum der Stadt Erfurt (1354-1407). Die Besitzer der Parzellen, welche im Laufe der Jahrhunderte manche Änderung im Zuschnitt erfuhren (durch Teilung, Grenzverschiebung, Zusammenlegung, erneute Teilung usw.), konnten für den Zeitraum 1250/56 bis 1950 weitgehend lückenlos nachgewiesen werden. Hieraus ergaben sich Erkenntnisse zur Sozialtopographie der beiden jüdischen Gemeinden im Mittelalter (bis 1349: erste Gemeinde; bis 1454: zweite Gemeinde). In dem interdisziplinären Forschungsprojekt waren federführend die Bauforschung sowie Architekturhistorikerinnen, Judaisten, Restauratorinnen, Kunsthistorikerinnen, Denkmalpfleger, Historiker und Dendrochronologen beschäftigt. Beteiligt waren die Technische Universität Berlin, Fachhochschule Erfurt, Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, Otto-Friedrich-Universität Bamberg und die Stadt Erfurt (Stabsstelle UNESCO-Welterbe). Als gemeinsame Abschlusspublikation wurde Ende 2019 vorgelegt: Barbara Perlich (Hrsg.): Wohnen, beten, handeln. Das jüdische Quartier ante pontem in Erfurt. Mit einer Neuedition des Liber Judeorum der Stadt Erfurt, Petersberg 2019. In der Presse wurde über das Projekt berichtet u.a. am 16. Januar 2015, Thüringische Landeszeitung: Einzigartiges Gebäudeensemble am Erfurter Benediktsplatz; 05. Februar 2015, Jüdische Allgemeine: Steinernes Haus wird erforscht, Erfurt will ins UNESCO- Weltkulturerbe, DFG forschung 1 (2018), S. 22-25, sowie auf der Internetseite der Stadt Erfurt (http://www.erfurt.de/ef/de/service/aktuelles/pm/2015/120848.html) und der TU Berlin (http://www.tu-berlin.de/?id=155430).

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Der Raum mit der Blütendecke. Ein jüdischer Gebetsraum des 13. Jahrhunderts in Erfurt, in: Netzwerk jüdisches Kulturerbe (Hrsg.): Erfurter Schriften zur jüdischen Geschichte, Bd. 5: Inter Judeos – Topographie und Infrastruktur jüdischer Quartiere im Mittelalter, Quedlinburg 2019, S. 156-167
    Perlich, Barbara
  • in domo iudaeorum – Das »Judenhaus« in Schwäbisch Gmünd und die Frage nach jüdischen Gemeinschaftshäusern im zentraleuropäischen Raum, in: Netzwerk jüdisches Kulturerbe (Hrsg.): Erfurter Schriften zur jüdischen Geschichte, Bd. 5: Inter Judeos – Topographie und Infrastruktur jüdischer Quartiere im Mittelalter, Quedlinburg 2019, S. 112-131
    Paulus, Simon
  • Siedlungstopographie der mittelalterlichen jüdischen Gemeinden Erfurts, in: Netzwerk jüdisches Kulturerbe (Hrsg.): Erfurter Schriften zur jüdischen Geschichte, Bd. 5: Inter Judeos – Topographie und Infrastruktur jüdischer Quartiere im Mittelalter, Quedlinburg 2019, S. 80-101
    Perlich, Barbara
  • Synagoge oder Studierzimmer? Ein jüdischer Gebetsraum des 13. Jahrhunderts in Erfurt, in: Das Mittelalter, Band 24, Heft 2, Seiten 458–478
    Perlich, Barbara
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1515/mial-2019-0046)
  • Wohnen, beten, handeln. Das hochmittelalterliche jüdische Quartier ante pontem in Erfurt. Mit einer Neuedition des Liber Judeorum der Stadt Erfurt. Schriftenreihe der Bet Tfila – Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa, Bd. 11, Petersberg 2019
    Perlich, Barbara (Hrsg.)
 
 

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