Entwicklungsbedingte Veränderungen in der adaptiven Verhaltensanpassung in der Adoleszenz: Das Zusammenspiel von motivationalen und kognitiven Kontrollfunktionen
Allgemeine, Kognitive und Mathematische Psychologie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ab dem mittleren Jugendalter nehmen Unfälle mit Todesfolge sowie gesundheitsschädigendes Verhalten sprunghaft zu und erreichen in der späten Adoleszenz ihren Höhepunkt. Bei der Erforschung der Ursachen von risikoreichem Verhalten im Jugendalter sind in den vergangenen Jahren neurobiologische Modelle in den Mittelpunkt gerückt. Gemeinsame Annahme verschiedener, theoretischer Modelle (sog. „Dual-systems“ Modelle) ist die unterschiedliche Entwicklung zweier Systeme, die mit der Reifung unterschiedlicher Hirnareale in Verbindung gebracht werden, dem sozio-emotionalen System, das zu Beginn der Adoleszenz früher reift als das kognitive Kontrollsystem sowie eine lineare Verbesserung kognitiver Kontrollfunktionen. Wird in belohnungssensitiven Situationen das sozioemotionale System aktiviert, kann das noch unreife Kontrollsystem impulsives und risikohaftes Verhalten im mittleren Jugendalter schlechter regulieren als im frühen Erwachsenenalter. Unterschiedliche Annahmen machen theoretische Modelle bezüglich der gegenseitigen Beeinflussung beider Systeme, die entweder miteinander interagieren oder nicht und bezüglich des Entwicklungsverlaufs (linear oder quadratisch) des sozioemotionalen Systems. Ziel des vorliegenden Forschungsprojektes war es mittels eines querund längsschnittlichen Forschungsdesigns die Überprüfung der Fragestellungen, ob sich unterschiedliche Entwicklungsverläufe beider Systeme zeigen, inwiefern diese mit risikohaften Verhalten in Verbindung stehen und dieses vorhersagen können, und ob beide Systeme miteinander agieren. Dazu haben wir mehrere Indikatoren beider Systeme auf unterschiedlicher Datenebene (behaviorale, selbstberichtete und neuronale Ebene) erhoben und in einem Altersbereich von 9-17 Jahren zu T1 (n = 191) und nach zwei Jahren zu T2 erneut untersucht (n = 149). Die bisherigen Ergebnisse und Datenanalysen widersprechen überwiegend den theoretischen Annahmen dieser Modelle. Zwar zeigt sich generell eine lineare Verbesserung verschiedener kognitiver Kontrollfunktionen (Inhibition, Aufgabenwechsel, Arbeitsgedächtnis, Umlernen), allerdings finden wir keine Altersunterschiede in selbstberichteter Belohnungssensitivität und Sensationssuche oder Annäherungsverhalten in Belohnungssituationen. Unsere Befunde verweisen zudem darauf, dass das Konstrukt Risikoverhalten als multidimensional und multidirektional im Jugendalter betrachtet werden muss. Zum einen zeigen sich unterschiedliche Entwicklungsverläufe in unterschiedlichen Laboraufgaben zur Messung von Risikoverhalten und im Selbstbericht, und zum anderen korrelieren diese nur geringfügig miteinander. Darüber hinaus lässt sich das Risikoverhalten in den verschiedenen Laboraufgaben entweder durch Temperamentsfaktoren oder durch fluide Intelligenz bzw. Arbeitsgedächtniskapazität vorhersagen, während selbstberichtetes Risikoverhalten nur durch das Alter vorhergesagt werden kann. Die Aktivierung des sozio-emotionales Systems durch die Anwesenheit von Peers führte nicht zum erhöhten Risikoverhalten im mittleren oder späten Jugendalter. Bezüglich der Interaktion beider Systeme zeigen unsere Befunde auf der Verhaltensebene, dass weder der Aufgabenwechsel noch das Umlernen mit der Höhe von Gewinnen/Verlusten interagiert. Nur bei inhibitorischen Fähigkeiten zeigte sich eine stärkere Sensibilität ab dem mittleren Jugendalter auf emotionale Gesichter unabhängig von der emotionalen Valenz (Freude vs. Ekel). Gegenwärtige Analysen der neuronalen Daten sollen klären, ob diese Altersunterschiede in der Verarbeitung von Belohnungen und deren Interaktion mit der Regulation von Verhalten sensitiver anzeigen können als Verhaltensdaten. Die bisherigen Ergebnisse unseres Forschungsprojektes machen dennoch deutlich, dass präzisere und situationsspezifischere Modelle als bisher formuliert werden müssen, um Risikoverhalten im Jugendalter erklären zu können, um daraus geeignete Interventionsmaßnahmen ableiten zu können.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2020) The interplay between cognitive control and emotional processing in children and adolescents. Journal of experimental child psychology 193 104795
Kray, Jutta; Ritter, Hannah; Müller, Lena
(Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.jecp.2019.104795) - (2017). Developmental changes in risk-taking behavior: How important is known outcome probability? In A. Weber (Ed.) Tagungsband gemeinsame Tagung der Fachgruppen Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie (PAEPSY) (pp. 417). Leck: CPI books
Lorenz, C., Schmitt, H., Unger, K. & Kray, J.
- (2017). Developmental changes in risk-taking behavior: How important is known outcome probability? In M.H. Fischer, et al. (Eds.) ESCoP 2017: Abstracts of the 20th Conference of the European Society for Cognitive Psychology (pp. 122)
Lorenz, C., Schmitt, H., Unger, K. & Kray, J.
- (2017). The interplay between cognitive control and emotion inhibition on goal-directed behavior across adolescent development. In A. Weber (Ed.) Tagungsband gemeinsame Tagung der Fachgruppen Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie (PAEPSY) (pp. 417). Leck: CPI books
Schmitt, H., Lorenz, C., Unger, K., & Kray, J.
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Kray, J., Schmitt, H., Lorenz, C., & Ferdinand, N.K.
(Siehe online unter https://doi.org/10.3389/fpsyg.2018.00768) - (2018). The influence of incentives on cognitive control: a developmental study. In A.C. Schütz, et al. (Eds.), TeaP 2018: Abstracts of the 60th Conference of Experimental Psychologists (pp. 297). Lengerich: Pabst Science Publishers
Woirgardt, M., Ferdinand, N.K., & Kray, J.
- (2019). Are mid-adolescents prone to risky decisions? The influence of task setting and individual differences in temperament. Frontiers in Psychology, 10, 1497
Lorenz, C., & Kray, J.
(Siehe online unter https://doi.org/10.3389/fpsyg.2019.01497) - (2019). Dismantling decision-making under known risk in adolescence - on the influence of incentive value, expected value and cognitive abilities. In C. Lange-Küttner, et al. (Eds.) TeaP 2019: Abstracts of the 61th Conference of Experimental Psychologists (TeaP) (p. 46)
Kreis, B., Lorenz, C., & Kray, J.
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Lorenz, C. & Kray, J.