Biographisches Lexikon zur Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Teil 1: von 1871 bis 1918
Final Report Abstract
Mit dem Biographischen Lexikon der Sozialpolitik im Kaiserreich konnte, so hoffen Antragsteller und Bearbeiter, ein wesentlicher für weitere Forschungen hilfreicher Beitrag zur Sozialpolitik (und Innenpolitik) dieser Epoche erbracht werden. Dabei ist es gelungen, knapp 300 zentralen Entscheidungsträgern ein historisches Profil wiederzugeben, unter wissenschaftlichen Kriterien in einem Band zu vereinen, ihre konkreten Tätigkeitsschwerpunkte zu ermitteln und der weiteren Erforschung zugänglich zu machen bzw. diese zu erieichtern. Besonders beachtlich sind die neuen Forschungsbeiträge zu den kaum erforschten konservativen Abgeordneten im Reichstag, zu den Kommissionsfunktionen aller erfassten Reichstagsabgeordneten, der höheren Ministerialbürokratie und den beispielgebenden Mitgliedern der praxisbezogenen und/oder wissenschaftlichen Diskussionen in den öffentlichkeitswirksamen „Deutschen Vereinen". Damit ist es gelungen, das sozialkulturelle Klima der frühen Entwicklungsphase der deutschen Sozialstaatlichkeit konkret zu erfassen. Gelungen ist es auch, die gesellschaftlichen Aufstiegsprozesse in den Karrieren der (fast ausschließlich männlichen) Akteure zu veranschaulichen. In der. enwarteten Folgeuntersuchung zu Weimarer Republik und NS-Zeit wird sich zeigen, in welchem Ausmaß die neue Sozialpolitik auch ein besonderer, wohl gegenüber klassischen Ressorts vorrangiger Aufstiegssektor für Frauen war. Das Biographische Lexikon ergänzt handbuchartig jede Geschichte der Sozialpolitik und des Sozialrechts im Kaiserreich durch veriässliche Angaben, enthält zudem Anregungen/Ausgangspunkte und veriässliche Hinweise für weitere Forschungen. Während des Projektveriaufs hatte sich allerdings gezeigt, dass die ursprünglichen Kriterien zur Aufnahme in das Biographische Lexikon teilweise zu weit gefasst wären. Daher war nach gut einem Jahr die dargestellte Präzisierung der Kriterien erforderlich, der eine erhebliche Anzahl (etwa 50) von bereits ermittelten Biographien zum Opfer fiel, andererseits gab es, wie dargestellt, generelle „institutionelle" Ergänzungen und Erweiterungen. Allerdings hat das Biographische Lexikon damit ein schärferes wissenschaftliches Profil erhalten, möglicherweise finden sie auch noch in einem erweiterten Anhang, Internetversion etc. Aufnahme. Die Auswertung der Biographien bestätigt zum einen bereits bekannte historische Forschungen zu gesellschaftlichen Stereotypen der Kaiserzeit. Das Klassen- und Standesbewusstsein dieser Zeit spiegelt sich in den meisten Biographien wider. Die Sonderrolle des Adels und des besitzenden Bürgertums wird unterstrichen. Bedeutender sozialer Aufstieg und das Ausbrechen aus der eigenen Klasse waren möglich, kamen aber vergleichsweise selten in einer Generation vor. Zum anderen zeugt das soziale Engagement der Personen von der Fähigkeit, aus unterschiedlichen Motiven über die eigene soziale Klasse hinauszublicken und soziale Missstände zu beseitigen; überraschend ist die hohe Anzahl von engagierten Personen mit liberaler Grundhaltung. Die Anzahl von Sozialdemokraten ist gering, das ist nicht zuletzt auch eine Folge geringerer Zugangschancen zu den ausgewählten Institutionen, etwa der Reichstagskommissionen für sozialdemokratische Abgeordnete. Umgekehrt zeigt sich ein hoher Anteil an Sozialpolitikern mit liberaler Grundeinstellung, die Fortschritte bewirkten. Die klassischen Voreinschätzungen bedürfen wohl mancher Korrektur anhand dieser Detailforschung. Insgesamt zeigt sich: Ein gesamtgesellschaftlicher Konsens zum sozialen Ausgleich war und ist, über alle gesellschaftlichen und politischen Schranken hinweg, möglich; er erfordert aber Engagement und seine eigene Zeit. Eine wissenschaftliche Qualifikationsarbeit ist nicht entstanden, geplant ist aber durch den Bearbeiter Dirk Hainbuch eine Dissertation zur Ausdifferenzierung der Reichsministerien aus den Reichsämtern in der Übergangsphase vom Deutschen Kaiserreich zur Weimarer Republik.