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Effizienz als normativ kritisiertes Priorisierungskriterium: eine systematisch-konstruktive Analyse der aktuellen Kontroversen

Fachliche Zuordnung Praktische Philosophie
Förderung Förderung von 2007 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 15070313
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Im Teilprojekt C3 wurde in den ersten drei Jahren der DFG-Forscherguppe FOR655 die konkrete Einschränkungsoption marginaler Wirksamkeit (MW) als potentielles Posteriorisierungskriterium untersucht. Die Idee hinter diesem Kriterium zielt darauf ab, unter der Bedingung von Ressourcenknappheit medizinische Maßnahmen dann nicht in den Leistungskatalog solidarisch finanzierter Krankenversorgung (in Deutschland der GKV) aufzunehmen bzw. sie aus diesem zu streichen, wenn ihr klinischer Nutzen lediglich sehr klein ist. In der zweiten Förderphase bearbeiteten wir fünf Schwerpunktfragen, von denen vier zielführende Antworten zur fairen und effizienten Umsetzung von Priorisierung verlangen, während die fünfte normativ nach Möglichkeiten der praktischen Implementierung von Priorisierung fragt. Es ging um: (1) die Normativität und Rechtfertigung der dafür verwendeten Nutzenmaße (z.B. QALYs) – insbesondere auch mit Blick auf die Messung von gesundheitsbezogener Lebensqualität (gLQ). Hier zeigte sich, dass es internationale Standards gesundheitsökonomischer Nutzenbewertung, die als durchgängig methodisch unproblematisch und normativ akzeptabel anzusehen sind und die sicherlich auch von Seiten des Gesetzgebers, wünschenswert wären, nie gab und auch in absehbarer Zukunft nicht geben wird. Daher können zur Zeit nur, im besten Fall wissenschaftlich fundierte, normative Entscheidungen getroffen werden, welche Nutzenmaße Verwendung finden sollen. (2) das normative Spannungsverhältnis zwischen dem Postulat eines Effizienzkriteriums und der Rule of Rescue. Bei unserer Analyse zeigt sich, dass sich nur eine sehr restriktive Lesart des Rettungsprinzips sich als ethisches Leitmotiv für die Gestaltung eines Gesundheitswesens plausibilisieren lässt, während jede weitere Lesart zu nicht wünschenswerten Effekten führt. (3) den Vorschlag einer nutzenunabhängigen absoluten Kostengrenze für GKV-Leistungen. Während der Auseinandersetzung mit diesem Problem ist uns deutlich geworden, dass die Einführung von Kosten-Nutzen-Schwellen, wie sie in verschiedenen Ländern diskutiert oder schon etabliert sind, sich in Kostengrenzen für den Erhalt eines Lebens übersetzen lassen. Über die Lebenserwartung betroffener Patientengruppen lässt sich damit aber auch ermitteln, welche Kosten maximal für die ettung eines Lebens durch ‚eine Therapie’ erstattet werden. Eine entsprechende Taxonomie der Erklärungs- und Rechtfertigungsmuster steht jedoch noch aus. (4) die Argumente, mit denen sich eine (zumindest partielle) Effizienzmaximierung über Indikations- und Personengrenzen hinweg ethisch rechtfertigen lässt. Unser Augenmerk in diesen Fragen ist vierfach, aber leider zum Zeitpunkt dieses Berichts noch nicht abgeschlossen: (A) Wir versuchen, die Argumentationsstrategien in diesen Debatten (z. B. John Taureks berühmten no-worse claim) zu systematisieren und zu bewerten. (B) Wir versuchen, besser zu verstehen, was drei spezielle Konfliktkonstellationen ethisch gemeinsam haben und was sie trennt. (C) Wir testen die Rechtfertigungspotentiale für Effizienz-Fairness-Hybrid- Positionen, wie sie sich etwa im Rahmen eines indirekten Konsequentialismus darstellen könnten. (D) Wir arbeiten an der Frage, welche medizinischen ex ante Priorisierungsstrategien (z. B. Kostendeckelungen für QALYs im britischen NHS) sich als Effizienz-affine Antworten auf spezielle Fallkonstellationen rekonstruieren lassen. Darüber hinaus setzten wir uns mit (5) Überlegungsgleichgewichten und der Deliberation in der Allokationspolitik auseinander. Wir entwickelten einen deliberativen Entscheidungsfindungsansatz für das Gesundheitswesen, auf dessen Grundlage Menschen in den Zustand versetzt werden sollen, normative Urteile zu fällen, die sie grundsätzlich als gerecht akzeptieren können.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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