Der Schlüsselfundplatz Veksa. 6000 Jahre Kulturentwicklung vom 6. bis zum 1. Jahrtausend v. Chr. in der nordosteuropäischen Waldzone
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In den letzten Jahren ist der Raum zwischen Ostsee und Ural verstärkt in den Fokus der Ur- und Frühgeschichtsforschung gerückt, weil diese Region auch aus mitteleuropäischer Perspektive für das Verständnis überregionaler, diachroner Kulturentwicklungen von großer Bedeutung ist. Veksa in Nordwestrussland stellt dabei einen Sonderfall unter den archäologischen Fundplätzen der Waldzone dar. Mit seiner einzigartigen, bis zu drei Meter mächtigen Stratigraphie vom Mesolithikum bis in die Eisenzeit und der außerordentlich guten Erhaltung organischen Materials ermöglicht er erstmals die Erarbeitung einer Referenzchronologie zur prähistorischen Kultur- und Umweltgeschichte Nordosteuropas über sechs Jahrtausende hinweg. Das Ziel der von der DFG geförderten interdisziplinären Forschungen in Veksa war es, qualitätsvolle und naturwissenschaftlich abgesicherte neue Erkenntnisse zur Kulturentwicklung in ihrem landschafts- und umweltgeschichtlichen Kontext vom 6. bis ins 1. Jt. v.Chr. zu gewinnen. Durch das Projekt wurde eine deutliche Verbesserung des äußerst lückenhaften Forschungsstandes zur Vorgeschichte Nordrusslands erreicht. Geomorphologische und archäobotanische Analysen haben einen wichtigen Beitrag zur Rekonstruktion von Landschaftsentwicklung und Vegetationsgeschichte dieser Region geliefert, so dass wir die holozäne Entwicklung von einem ehemaligen Seebecken hin zu einer Flussauenlandschaft nun erstmals konkret und zeitlich hoch aufgelöst fassen können. Die archäologischen Stratigraphien konnten für verschiedene Bereiche des Fundplatzes erschlossen und datiert werden, so dass nun die kulturellen und naturräumlichen Entwicklungen seit dem 6. Jt. v. Chr. an verlässlich eingeordnet werden können. Neue archäozoologische, archäobotanische und archäologische Daten zur Entwicklung der Wirtschaftsweise belegen die Persistenz der aneignenden Wirtschaftsweise mit Jagd, Fischfang und dem Sammeln von Wildpflanzen in dieser Region bis ans Ende des 1. Jts. n. Chr., erst ab dieser Zeit ist mit Getreideanbau vor Ort zu rechnen. Der stratifizierte Komplex von Veksa überaus wertvolle Möglichkeiten, die erste Ausbreitung und weitere typologische Entwicklung der Gefäßkeramik in Nordosteuropa zu rekonstruieren und Einblicke zu Funktion, Nutzung und kultureller Bedeutung der Tonware zu gewinnen. Anhand erster molekulabiologischer Analysen von organischen Rückständen an der steinzeitlichen Keramik zeigt sich, dass entgegen einer gängigen Hypothese das erste Auftreten von Keramikgefäßen im 6. Jt. v. Chr. offenbar nicht direkt mit einer intensiveren und gezielten Nutzung aquatischer Ressourcen in Zusammenhang stand, sondern dass die Hinweise auf Verarbeitung von Fisch erst im Laufe der folgenden Jahrhunderte immer mehr an Bedeutung gewinnen. Auch wenn die exzellente Erhaltung steinzeitlicher Holzfunde durch das ausgedehnte Pfahlfeld am Ufer der Vologda bereits im Zuge der Vorarbeiten des Projektteams bekannt geworden war, stellte die Entdeckung von sechs Reusen- und Fischzaunresten aus dem 4.-3. Jt. v. Chr. in dem in diesem Bereich angelegten Grabungsschnitt einen unerwarteten Erfolg dar. Mit diesen herausragenden Feuchtbodenbefunden stellt Veksa bereits jetzt einen der wichtigsten Fundplätze zu steinzeitlichen stationären Fischfangeinrichtungen in Nordeuropa dar, der darüber hinaus angesichts der kleinen bisher untersuchten Flächen immenses Potential für weitere Entdeckungen erhaltener organischer Funde und Befunde am Ufer der Vologda bereithält. Mit seinen überregional relevanten Ergebnissen, aber auch mit seinem internationalen Team unter deutsch-russischer Leitung hat das Projekt einen wichtigen Beitrag zu grenzübergreifender Untersuchungen zu Kultur- und Umweltgeschichte Nordosteuropas geleistet. Durch den Aufbau tragfähiger Kooperationen und durch die Einbeziehung von Nachwuchswissenschaftlern wurde der Grundstein für Weiterführung und Ausbau archäologischer Forschung über die Grenzen zweier Wissenschaftskulturen hinweg gelegt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Multivariate analysis of early ceramics in north-eastern Europe: Understanding chronology, stylistic similarities and cultural transmission. In: Vladimir Lozovski, Olga Lozovskaya, Aleksandr Vybornov (eds), Neolithic Cultures of Eastern Europe: Chronology, Paleoecology and Cultural Traditions. Materials of the international conference ..., May, 12-16, 2015, St. Petersburg. St. Petersburg 2015: 269-276
Henny Piezonka
- Neolithic complexes of the Veksa sites in the Upper Sukhona basin, north-western Russia: New natural-scientific research. In: Vladimir Lozovski, Olga Lozovskaya, Aleksandr Vybornov (eds), Neolithic Cultures of Eastern Europe: Chronology, Paleoecology and Cultural Traditions. Materials of the international conference ..., May, 12-16, 2015, St. Petersburg. St. Petersburg 2015: 151-158
Nadezhda Nedomolkina, Henny Piezonka, John Meadows, Oliver Craig, Sebastian Lorenz
- Новые археологические, остеологические и геоморфологические исследования на комплексе многослойных поселений Вёкса в бассейне Верхней Сухоны. Тверской Археологический Сборник 10 (1), 2015, 74-84
Надежда Г. Недомолкина, Хенни Пиецонка, Себастиан Лоренц, Улрих Шмёлке
- Radiocarbon chronology of the Upper Sukhona Region in Early and Middle Neolithic (sites Veksa I and Veksa III). In: Ganna Zajtseva, Olga Lozovskaya, Aleksandr Vybornov, Andrey Mazurkevich (eds), Radiouglerodnaya khronologiya epokhi neolita Vostochnoi Evropy VII-III tysjacheletiya do n. e. Smolensk 2016: 425-433
Nadezhda Nedomolkina, Henny Piezonka
- Stone Age pottery chronology in the northeast European forest zone: New AMS and EA-IRMS results on foodcrusts. Radiocarbon 58(2), 2016, 267-289
Henny Piezonka, John Meadows, Sönke Hartz, Elena Kostyleva, Nadezhda Nedomolkina, Marina Ivanishcheva, Natalya Kosorukova, Thomas Terberger
(Siehe online unter https://doi.org/10.1017/RDC.2016.13) - Results on absolute and relative chronology based on materials from the multi-layered settlement site of Veksa 3. Самарский научный вестник, том 6 №3 (20), 2017, 151-154
Nadežda Nedomolkina, Henny Piezonka
(Siehe online unter https://doi.org/10.17816/sanv201763151-154) - The Early and Middle Neolithic in NW Russia: Radiocarbon chronologies from the Sukhona and Onega regions. Documenta Praehistorica XLIV, 2017, 122-151
Henny Piezonka, Nadezhda Nedomolkina, Marina Ivanishcheva, Natalya Kosorukova, Marianna Kul’kova, John Meadows
(Siehe online unter https://doi.org/10.4312/dp.44.8) - Pile dwellers in the Sukhona basin? Wooden structures of the 4th and 3rd millennium cal BC at Veksa, Northern Russia. In: Ekaterina Dolbunova, Elena Pranckenaite, Andrei Mazurkevich, Albert Hafner (eds), Settling waterscapes in Europe: The archaeology of
Henny Piezonka, Nadezhda Nedomolkina, Vanessa Elberfeld, Karl-Uwe Heußner, Wiebke Kirleis, Sebastian Lorenz, Magdalena Wieckowska-Lüth
(Siehe online unter https://doi.org/10.11588/propylaeum.714) - The Development of Plant Use and Cultivation in the Sukhona Basin, Northwest Russian Taiga Zone. In: Vanhanen, Santeri; Lagerås, Per (Hg.) (2020): Archaeobotanical studies of past plant cultivation in northern Europe. Groningen: Barkhuis Publishing (Advan
Wiebke Kirleis, Magdalena Wieckowska-Lüth, Henny Piezonka, Nadezhda Nedomolkina, Sebastian Lorenz, Vanessa Elberfeld, Jens Schneeweiß